Sonderausstellung: Ludwig Meidner

Ludwig Meidner - Humoresken und Grotesken

Ludwig Meidner, Groteske Szene, 1941
Ludwig Meidner, Groteske Szene, 1941, Aquarell, Tusche, 41,6 × 26,4 cm
Foto: Ursula Seitz-Gray, © Ludwig Meidner-Archiv, Jüdisches Museum der Stadt Frankfurt am Main, Inv. Nr. JMF1994-0007 II/1939
Sonderausstellung: Ludwig Meidner

Ludwig Meidner - Humoresken und Grotesken

Um den großen und düstern Ernst dann und wann ein bißchen zu dämpfen, male ich alle fünf bis sechs Wochen ein lustiges, allzulustiges, ja nichtsnutziges und unartiges Motiv in Wasserfarben …

Brief von Ludwig Meidner an Wolf Bergmann vom 23. Oktober 1949, Institut Mathildenhöhe Darmstadt, aufbewahrt im Stadtarchiv Darmstadt, ST 45 Meidner Nr. 108


Noch während seiner Internierung malte Meidner in seine Skizzenbüchern Aquarelle mit teilweise humoristischen, teilweise grotesk rätselhaften Motiven. Im Laufe des englischen Exils wurden daraus umfangreiche Serien, die Meidner unter verschiedenen, wechselnden Titeln ("Cafés, Theater, Varieté", "Allegorien", "Naturmystik und Phantasien", "Allotria", "Insekten und Märchen" etc.) gruppierte. Obwohl ihn hierzu auch die Tradition der englischen Karikatur und Bildsatire, namentlich William Hogarth, Thomas Rowlandson und James Gillray angeregt haben, handelt es sich meistens nicht um Karikaturen im engeren Sinne, da sie oft kryptisch oder sogar bedrohlich wirken: "… sie sind freilich nicht reiner Spaß und bloß funny, sondern es ist ihnen, ohne meine Absicht, etwas beigemengt, was sie für den englischen Betrachter nicht anziehend machen: ein sozialer Zug, ein düsterer Unterton." (Brief von Ludwig Meidner am Wolf Bergmann vom 23. Oktober 1949)

Bei genauerer Betrachtung der Figuren im vorliegenden Aquarell, erkennen wir einige Motive, die offensichtlich Symbolcharakter besitzen, deren Bedeutung sich aber nicht eindeutig erschließt. Der zerfetzte Regenschirm, den eine der Figuren über den Kopf hält, kann unschwer als Sinnbild für Schutzlosigkeit, für die Zerstörung von Sicherheit oder für eine selbsttäuschende Illusion von Sicherheit interpretiert werden. Andere Motive wirken wie bildliche Umsetzungen von Redensarten. So hat etwa die gelbe Gestalt in der Mitte anstelle eines Gesichts ein Loch im Kopf, das sie als "Hohlkopf" ausweist. Auch die Siebenzahl der Figuren könnte einen Hinweis auf eine allegorische Bedeutungsebene enthalten. Tatsächlich erinnern der Bildaufbau und die groteske Verfremdung der Figuren an "Die sieben Todsünden" von Otto Dix (1891–1969), wobei Meidner das 1933 gemalte Bild höchstwahrscheinlich nicht gekannt haben dürfte. Man könnte die Figur, die links unten in Meidners Aquarell eine Wurst verschlingt, durchaus als Personifikation der Völlerei auffassen. Die Bezüge der übrigen Gestalten zu den anderen Todsünden – Hochmut, Zorn, Wollust, Trägheit, Neid und Geiz – bleiben aber so diffus, dass eine Interpretation der Komposition als Darstellung der Todsünden nicht zwingend scheint.

Weiterführende Literatur:
Horcher in die Zeit. Ludwig Meidner im Exil (Ausst. Kat. Museum Giersch der Goethe-Universität, Frankfurt am Main), München 2016, S. 126f.

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