Im Angesicht der Geschichte
Im Angesicht der Geschichte
Nachdem man den wohl vollständigsten und schockierendsten Dokumentarfilm, den es über die deutschen Greueltaten gibt, im Gerichtssaal vorgeführt hatte, stellte sich heute heraus, daß alle Angeklagten im Nürnberger Justizpalast eigentlich nur ›kleine Mitläufer‹ waren. Wie der Rest ihrer Landsleute haben sie nichts getan, nichts gesehen und nichts gewußt.
Erika Mann, KZ-Filme, 1945
Als einzige Frau erhielt Erika Mann im Sommer 1945 die Erlaubnis zum Besuch in Mondorf-les-Bains. In einem ehemaligen Luxushotel waren hier die 52 Hauptkriegsverbrecher untergebracht. Von ihrem „gespenstischen Abenteuer“ und von den am 20. November 1945 beginnenden Nürnberger Prozessen berichtete sie in Artikeln und Rundfunkinterviews. Sie reiste quer durch das befreite Deutschland, sah die zerstörten Städte, beschrieb die larmoyant-aggressive Stimmung in der deutschen Bevölkerung. Scharf kritisierte sie die amerikanisch-sowjetische Konfrontation. In der Krise um Berlin (1948) zeigte sie Verständnis für die sowjetische Position. Die westdeutsche Presse unterstellte Erika und Klaus Mann daraufhin Sympathien für Stalin, vergeblich wehrten sich die Geschwister gegen solche gefährlichen Verleumdungen.
Das gewandelte politische Klima in den USA der McCarthy-Ära, die fortdauernde Überwachung und Befragung durch das FBI, die Kündigung bereits vereinbarter Vortragsreisen bedeuteten das Ende von Erika Manns Karriere als Publizistin. Empört und enttäuscht zog sie im Dezember 1950 ihren Antrag auf die amerikanische Staatsbürgerschaft zurück.
Weiterführende Literatur
Steffen Radlmaier (Hrsg.): Der Nürnberger Lernprozess. Von Kriegsverbrechern und Starreportern. Frankfurt/M. 2001
Irmela von der Lühe: The Big 52: Erika Manns Nürnberger Reportagen. In: Bestien und Befehlsempfänger. Frauen und Männer in NS-Prozessen nach 1945. Hrsg. von Ulrike Weckel und Edgar Wolfrum, Göttingen 2003, S. 25-37.