Küns­te

Künste lassen sich nicht getrennt von den gesellschaftlichen Verhältnissen betrachten, in denen sie entstehen. Die Wechselbeziehungen von Kunstwerken und der Gesellschaft spielen sich zwischen ästhetischen Traditionen, zeitgenössischem Kulturbetrieb und politischen Machtverhältnissen ab. Auch wirtschaftliche Bedingungen der Künstler, das private Umfeld und die Aufnahme der Werke durch das Publikum spielen eine wichtige Rolle. Die Zwangssituation von Exil und Emigration verändert solche Wechselbeziehungen.

Für einige Künstler ist diese Erfahrung ein solcher Schock, dass sie im Exil ihr künstlerisches Schaffen beenden. Für diejenigen, die im Exil weiterarbeiten, werden diese Wechselbeziehungen neu spürbar: denn auch im Exil entsteht Kunst in einem gesellschaftlichen und kulturpolitischen Rahmen, der aber weitgehend unbekannt ist. Die Konfrontation mit einem völlig neuen sprachlichen, politischen, kulturellen, ökonomischen, privaten und intellektuellen Umfeld prägt auf grundlegende Weise die Produktionsbedingungen, unter denen Künstler im Exil arbeiten. Von vielen wird diese Konfrontation sogar direkt in ihren Kunstwerken aufgegriffen. Exil kann durchaus auch ein produktives Feld öffnen und sich positiv auf das künstlerische Schaffen auswirken.

Während des nationalsozialistischen Regimes flohen über 10.000 Künstler aus Deutschland, Theaterschaffende und Filmemacher, Schriftsteller, bildende Künstler, Fotografen, Architekten, Tänzer, Komponisten und Musiker. Ganz unterschiedlich war der Erfolg der exilierten Künstler in den Aufnahmeländern. Für Bildende Künstler, Komponisten, Fotografen zum Beispiel, deren Kunst weniger an die deutsche Sprache gebunden war, war die Weiterarbeit unter den veränderten Bedingungen des Exils leichter möglich, wenn auch hier weitere äußere und individuelle Faktoren zu beachten sind. Für andere begann mit dem Exil eine Notsituation: Die Arbeits- und Lebensbedingungen waren für viele schwierig oder katastrophal, die Verdienstmöglichkeiten für viele unzureichend. Die Verbindung zu einem neuen Publikum musste im Zufluchtsland erst aufgebaut werden. Die eben beschriebenen Bedingungen gelten keineswegs nur für das Exil aus dem nationalsozialistischen Machtbereich. Sie galten davor und bis hinein in die Gegenwart.

Die Voraussetzungen für die verschiedenen Künste im Exil und die Verläufe der einzelnen künstlerischen Karrieren sind sehr unterschiedlich. Ist es dennoch zulässig von Exil-Kunst zu sprechen? Wird ein Kunstwerk zu Exil-Kunst, weil der Künstler im Exil lebt? Wie beeinflussen Exil und Migration den künstlerischen Prozess? Kann die Erfahrung erzwungener Entortung künstlerisches Schaffen anregen? Fragen wie diese fordern auf, den Künstlern und den Künsten zu folgen und Einzelbeispiele ebenso zu betrachten wie systematische Zusammenhänge.