Architektur
Die künstlerischen Produkte dieser Disziplin, die Architektur, waren aufgrund ihres sozialen, öffentlichen oder privaten Charakters weniger autonome Kunstwerke, die in der Isolation des Exils entstanden, sondern Werke, die wesentlich auf einer Debatte zwischen öffentlichen oder privaten Auftraggebern und Architekten basierten.
Bernd Nikolai über die verspätete Rezeption von Architektur im Exil, 2003
Die Vertreibung von Künstlern aus Deutschland und Österreich durch den Nationalsozialismus betraf alle Berufsgruppen der Architektur: freie Architekten, Stadtbauräte, Gutachter und Hochschullehrer. Durch das Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums vom April 1933 verloren viele Architekten ihre Ämter in Verwaltungspositionen. Freie Architekten und Stadtplaner, die jüdischer Herkunft waren, politisch missliebig oder beides, wurden aus ihrem Berufsverband, dem Bund Deutscher Architekten (BDA), gedrängt und nicht in die Reichskulturkammer aufgenommen, was faktisch einem Berufsverbot gleichkam.
Die Architektur in Deutschland und Österreich war zu jenem Zeitpunkt künstlerischer Ort von Umbrüchen und lebendigen Debatten. Stilistisch und gesellschaftlich wirkten Auffassungen des Aufbruchs und der Beharrung nebeneinander, kreative Kontroversen hatten nach dem Ersten Weltkrieg für eine belebte Baukunst gesorgt, sei es im Wohnungsbau oder auch bei öffentlichen Gebäuden. Das Bauhaus in Dessau war dabei nur ein Kulminationspunkt für das Gestaltungs- und Funktionsdenken der Moderne und des Neuen Bauens.
Wie konnten Architekten in ihrem jeweiligen Exilland an ihre Arbeit und an ihre Netzwerke anknüpfen? Ließen sich Debatten im Exil fruchtbar weiterführen? Wie gingen Architekten im Exil damit um, wenn ihre angestammte künstlerische Handschrift auf neue ästhetische, kulturelle und klimatische Bedingungen und auf neue Diskurse und fremde Fachtraditionen traf? „Das konnte zu einem umfassenden Wandel der architektonischen Auffassung durch die Konfrontation mit dem Exilland, zu großem Erfolg, aber auch zum Absturz in die Vergessenheit führen“, schreibt der Architekturhistoriker Bernd Nicolai (Architektur und Exil, 2003).
In Großbritannien etwa übernahm man Stilelemente des Neuen Bauens, in der Türkei wurde das Bauhaus als „New Dessau“ am Bosporos in der Lehre vermittelt, denn einige bekannte deutsche Architekten unterrichteten an dortigen Universitäten. Sie führten Fachgebiete wie Städtebau und Urbanistik ein und wurden mit öffentlichen Bauvorhaben betraut. In vielen Exilländern, in denen deutsche Architekten lehrten, wurde die Ausbildung nach deutschen Vorbildern organisiert.
Manche Architekten schlossen sich im Exil Bürogemeinschaften an, was ihnen zwar den Start im Exilland erleichtern konnte, aber auch dazu führte, dass vormals selbständige Architekten mit großem Gestaltungsspielraum nun aus Gründen des Broterwerbs vornehmlich die Projekte anderer realisierten. Großbritannien war ein wichtiges Zufluchtsland für Architekten, neben Schweden war es das europäische Land, das nicht nur eine Durchgangsstation in die USA, nach Südamerika oder Palästina darstellte. Architekten, die aufgrund ihrer kommunistischen Überzeugung in die Sowjetunion emigriert waren, wurden mit Bauprojekten im Städtebau und in Spezialbereichen wie Kindergarten- und Schulbau beauftragt. Manche von ihnen zogen jedoch, enttäuscht von der politischen Entwicklung, in ein anderes Exilland weiter.
In den USA prägten deutsche Architekten die Hochhausästhetik nach dem Zweiten Weltkrieg oder perfektionierten den Fertighausbau. Und in Palästina war jeder zweite Architekt, der bis zur Gründung des Staates Israel 1949 ins Land kam, ein Deutscher. Der Baustil des jungen Staates Israel ist daher in der Folge maßgeblich von der Ästhetik des Bauhauses geprägt – ein Sonderfall, denn von einer „Vollendung“ der Moderne der Weimarer Republik im Exil lässt sich angesichts der Heterogenität der Lebensläufe und Karrieren von Architekten insgesamt eher nicht sprechen.