Holzschnitt: David Ludwig Bloch
David Ludwig Bloch: Mr. Nobody, Shanghai, 1947
Leo Baeck Archive New York, © VG Bild-Kunst Bonn 2015

Heimat

Mir ist zuweilen so als ob
Das Herz in mir zerbrach.
Ich hab manchmal Heimweh.
Ich weiss nur nicht, wonach …

Auszug aus: Mascha Kaléko, Emigranten-Monolog, 1945


Wonach haben wir Heimweh? Wo ist Heimat? Ist Zuhause dort, wo jemand geboren ist? Kann man eine neue Heimat finden? Können Emigranten und Exilanten im Exil beheimatet sein? Viele Menschen fühlen sich an mehreren Orten heimisch, sie leben und arbeiten in unterschiedlichen Ländern, sprechen verschiedene Sprachen oder haben mehr als nur eine Staatsangehörigkeit.

Wenn Menschen aufgrund von gewaltsamen Ereignissen zum Verlassen ihrer Heimat gezwungen werden, verlieren sie viel. Sie müssen die gewohnte Lebens- und Arbeitsumgebung, Wohnung, Dorf oder Stadt und Land verlassen. Mit dem Aufenthaltsrecht verlieren sie auch die Sicherheit, irgendwo Zuhause zu sein. Nicht immer können Familien gemeinsam fliehen, nicht immer können Besitz und Vermögen mitgenommen werden. Familien werden getrennt, Bücher oder Werkzeuge, die für die eigene Kunst benötigt werden, und geliebte Gegenstände müssen zurückgelassen werden. Was sich mit diesen Verlusten häufig einstellt, ist das Gefühl, dass etwas verloren gegangen ist, was in der Fremde nicht wiedergefunden werden kann. Auch materiell, etwa in neuen Wohnungen, Häusern und mit neuen Dingen, lässt es sich nicht fassen. Im Exil gewinnt Heimat damit auf dramatische Weise an Stellenwert. Heimatverlust als Folge des Exils wird häufig Gegenstand künstlerischen Schaffens.

Ideen von Heimat und die Suche nach Identität werden mit vielfältigen Bedeutungen verknüpft. Auch innerhalb der nationalsozialistischen Kultur- und Rassenpolitik wurde ein Heimatbegriff bedient. Nach dem Holocaust und seit 1945 entwickelten sich Ideen von Heimat und Angebote der kulturellen oder nationalen Identität weiter. Die aktuelle Exilforschung greift das auf, wenn sie von transnationaler Identität spricht, und damit ein Grenzgängertum zwischen den Nationen, Sprachen oder Religionen beschreibt.

Die Frage nach Heimat beschäftigte im 19. Jahrhundert auch schon den deutschen Schriftsteller Heinrich Heine, auf den sich viele Exilanten beziehen. Gibt es eine mitnehmbare Heimat, als etwas, das man immer im Gepäck haben kann? In welchem Verhältnis steht Heimat zu Sprache?

Mit ihrer Rede "Heimat ist das was gesprochen wird" weist die Nobelpreisträgerin Herta Müller 2001 auf die Bedeutung von Sprache für die eigene Identität und das Heimischwerden hin. Sie reflektiert in ihrer Rede die trügerische Sicherheit, die sich auch für Emigranten hinter dem Satz „Sprache ist Heimat“ verbirgt und setzt der politischen Macht von Sprache und der ideologischen Vereinahmung mit einem Zitat von Jorge Semprun das gesprochene Wort entgegen. „Im Grunde ist meine Heimat nicht die Sprache […], sondern das, was gesprochen wird.“ (Jorge Semprun: Frederico Sánchez verabschiedet sich, 1994)

Weiterführende Literatur:

Améry, Jean: Wieviel Heimat braucht der Mensch. In: Jenseits von Schuld und Sühne. Stuttgart: Klett Kotta 7. Auflage 2012
Müller, Herta: „Heimat istdas was gesprochen wird.“ Rede an Abiturienten. Merzig: Gollenstein 2001
Seeba, Hinrich C.: Heimweh im Exil. Anmerkungen zu einer verdrängten Sehnsucht. In: Exilforschung im historischen Prozess, Exilforschung. Ein internationales Jahrbuch. München: Text+Kritik 2012, S. 276-288

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