Dankesrede zum Hasenclever-Preis

Oskar Pastior: Dankesrede zum Walter-Hasenclever-Literaturpreis
DLA Marbach, Nachlass Oskar Pastior, © Prof. Dr. Klaus Ramm

Dankesrede zum Hasenclever-Preis

Junges Museum

Das Ausstellungsstück, das du dir gerade anschaust, ist die Dankesrede von Oskar Pastior, die er gehalten hat, als er den Hasenclever-Preis im Jahr 2000 erhielt. Der Hasenclever-Preis ist einer der großen deutschen Literaturpreise. Er wird alle zwei Jahre an deutschsprachige Autoren verliehen und ist mit einem Preisgeld von 20.000 Euro ausgezeichnet. Was Pastior wohl mit dem Geld getan hat?

Warum habe ich mir dieses Exponat denn überhaupt ausgesucht?

Elf Seiten für ein simples "Danke"? Wäre ich an Oskar Pastiors Stelle gewesen, würde meine Rede sehr kurz ausfallen. Sie ginge in etwa so: "Danke, her mit dem Preis, kann ich dann gehen?" Allerdings ist ja allgemein bekannt, dass Künstler in manchen Belangen sehr speziell sein können.

Nach dem ersten Durchblättern erscheint mir die Rede eher eine Gedichtsammlung zu sein, aber jetzt erst mal von vorne. Auf der ersten der elf Seiten findet man, nach einer kurzen Begrüßung des Publikums, bereits das erste Gedicht mit dem Titel desider an kanevas, das auf der zweiten Seite fortgesetzt wird. "Kanevas" ist altfranzösisch und bezeichnet ein bestimmtes Webmuster. Spannenderweise sind auch die Wörter im Gedicht miteinander verwoben. Dies siehst du beispielsweise in den Versen eins und vier: "möchtegern für dankeschön – bittesehr" beziehungsweise "dankesehr für bitteschön". Der eigentliche Dank Pastiors beschränkt sich auf die erste halbe Seite und einen Satz ganz am Schluss auf Seite neun: "Meister Lampe, ich danke". Man fragt sich doch, warum Pastior hier auf den Hasen als Fabelwesen referiert. Und überhaupt: Warum auf ein ängstliches Fabelwesen? Aber vielleicht huldigt er auch dem Dichter Goethe und seinem Epos Reineke Fuchs, in dem Meister Lampe vorkommt.

Zurück zu Seite zwei. Im Anschluss an das Gedicht desider an kanevas spricht Pastior darüber, wie es zu dem Gedicht kam und erklärt unter anderem, wie seine Anagrammgedichte entstanden. Diese Ausführungen reichen bis zur vierten Seite. Mal ehrlich, das scheint mir ganz schön viel zu sein, nur um zu sagen: "Anagrammiertechnik gefällt mir, das mach’ ich gerne!" Weißt du eigentlich, was Anagramme sind? Ein Anagramm ist ein Wort, das aus einem anderen Wort durch Umstellung der einzelnen Buchstaben gebildet wurde. Hier ein Beispiel von mir: Karte – Artek. Übrigens ist Artek laut Google ein finnischer Möbelhersteller, gleichzeitig aber auch ein sowjetisches Pionierlager.

Ebenfalls auf Seite vier findet sich dann ein weiteres Gedicht, mit dem interessanten Namen oulipotisch kommt von oulipo, doch. Bei diesem witzigen Titel fragte ich mich, was ein Oulipo ist. Ein australisches Beuteltier? Eine neue Krankheit? Nein, es ist ein Club experimenteller, meist französischer Autoren, in den Pastior als einziger Deutscher aufgenommen wurde. Diesem Gedicht folgt – wie könnte es auch anders sein – eine weitere Erklärung Pastiors zu seiner experimentellen Schreibweise auf der folgenden, fünften Seite.

Dann ein weiterer Text aus Pastiors Werk, diesmal eine kurze Geschichte mit dem Titel Chron: 1. Dies kann für Chronik stehen, aber auch für chronisch wie in chronisch krank – jedenfalls scheint es in dem Text um das Verbringen eines Tages zu gehen. Schade, dass Pastior in seinen Erklärungen nie sagt, was das alles noch mit der Dankesrede zu tun hat.

Auf Seite sechs folgen wieder ein kurzes Gedicht und noch ein weiterer Kurztext. Es scheint, als habe Oskar Pastior keine Lust gehabt, auch diese Werke noch zu erläutern, denn sie stehen – besser: kleben – unkommentiert in der Rede. Ein Glück für den Zuhörer, wenn du mich fragst, sonst wäre diese Rede noch länger geworden.

Auf den Seiten sieben bis zehn finden sich dann weitere Texte Pastiors (die Kurzgeschichte Nachgrundierung, die Gedichte denn auf der grünen Wiese sitzt, doch rasch flockt und Heisser Atem im Nacken). Naja, und dann, dann steht etwas verloren am Ende von Seite neun: "Meister Lampe, ich danke"! Ein schöner Schluss – wenn nicht die verflixte zehnte Seite noch wäre.

Etwas überraschend findet man hier nämlich eine editorische Notiz. Ich hoffe, Oskar Pastior hat diese nicht vorgelesen. Darin steht, welchen seiner Bücher die Gedichte entnommen und wann sie erschienen sind. Wenn Pastior die Notiz vorgelesen hätte, wäre seine Zuhörerschaft vermutlich sanft eingeschlafen. Beispielsweise: "Die vorgelesenen Gedichte [...] stammen aus dem Band Das Hören des Genitivs, Carl Hanser Verlag 1997". Was noch zur perfekten Kaufaufforderung fehlt, sind die ISBN-Nummer und der Preis.

Was mir sofort aufgefallen ist: Pastior hat die Gedichte aufgeklebt. Warum er das wohl getan hat? Manche bezeichnen dies vielleicht als künstlerische Leistung im Bereich der Collagen- oder Montagetechnik. Vielleicht steckt auch nur Pastiors Spieltrieb dahinter?

Pastiors Sprache ist, wenn er seine Gedichte kommentiert, wie auch viele seiner Gedichte selbst, einzigartig. Und, wenn ich ehrlich bin, für mich oft sehr unverständlich. Dies kommt, so meine ich, daher, dass Oskar Pastior genügend Fremdwörter eingebaut hat, um jedes Fremdwörterbuch vor Neid erblassen zu lassen. Ein Beispiel von Seite zwei: "Befragt nach der Genese meiner Anagrammgedichte, (ja ja, ganz harmlos: Wie kamen Sie denn überhaupt aufs Anagramm?), hatte ich versucht, den Faden einer Filiation bio-bibliographisch (also in einer wüsten Mischung aus evidenten Abläufen und präsumptiven Motivationen) zurückzuverfolgen." Auf gut Deutsch: Ich erkläre jetzt von Anbeginn an.

Und genau da solltest auch du beginnen, Pastiors Rede zu studieren; am Anfang. Komm und entdecke, wie vielseitig eine Rede sein kann.

von Daniel Ballermann