Else Lasker-Schüler, Typoskript von "Mein blaues Klavier", 1937

Else Lasker-Schüler: Mein blaues Klavier
DLA Marbach, © Jewish National and University Library

Else Lasker-Schüler, Typoskript von "Mein blaues Klavier", 1937

Junges Museum

Blaues Lied
Zu einem Manuskriptblatt von Else Lasker-Schüler

Es beginnt noch nicht.
Meine Worte
setzen nach der Musik ein.

Doch sieh ruhig schon her,
der Anfang ist unbedeutend. Anfänge
sind so. Etwas wird kommen, du weißt es.
es wird besser sein: wieder
mehr Zeit für blaue Klaviere.

Schau mir zu: Das, was ihr Lied nennt,
hat seinen Ursprung in einer entsetzlichen Wut,
die nur Erschöpfung löscht.

Sieh was ich hab: Noten für Tauben und Schwäne
für Märchen. Feen mit schmaler
Taille und einem gigantischen Reifrock.
Was ich für Glück halte – wenn ich Glück aufführen will –
wird noch kommen, jetzt ist nicht die richtige Zeit dafür

Jetzt scheinen wir
jene Jahre überdauern zu müssen,
in denen alles –
wirklich alles –
aufgrund unsrer Verfehlung
 
seinen mitleidlosen Lauf nimmt.
Tragödien sind vorhersehbar,
diese hat niemand erahnt.

Die Tonfolge, die du erkennst,
habe ich gestern entwickelt,
Wir saßen ohne zu spielen, vor dem Blauen Klavier.
Unsere Verse und Noten
blieben Papier.

von Silke Scheuermann