16/6/36 Mein lieber paule,
lange will ich dir schreiben, danken und loben und preisen.
du machst entzückend was du machst und ich bin ganz erfüllt von den vielen plänen, was du vorhast.
man würde sich einen guten nachmittag mit klöhnen verbringen, wenn man sein herz so richtig wie die briefe andeuten aussprechen könnte.
ich bin übrigens in einer
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sehr guten malsträhne. ich male seit einigen monaten richtig mit mut und begeisterung hauptsächlich transparente bilder auf rhodoid (eine art zelluloid) und ich perforiere sie um schatten und farbeneffekte zu bekommen. Es macht ungeheuren spass und das ganze entwickelt zu einem netten fieber unbekannten ausdruck. ich würde dir mal alles gerne erklären, ich glaube 1 schritt weiter und ich habe den farbenfilm auf neuen wegen.
wann kommt ihr her, einer von der familje kann hier
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übersofa …
dein lehrprogramm (die holländische veröffentl. In dem „prisma) fand ich ausgezeichnet. man muss zäh sein, mehr als das, um die hälfte realisieren zu können. Allerdings bei deinem letzten tempo (in den letzten 3-4 jahren) habe ich keine angst dafür, dass du es nicht schaffst.
die doesburg-veröffentlichung finde ich sehr gut und es ist so merkwürdig, wenn jemand tot ist, man
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wagt seine bedeutung zu sehen. d. war ein ausserordentlicher kerl, ein richtiger bock burgtore einzurammen, der aber manchmal durch übertriebene ambitionen persönlicher art einem sehr auf die nerven fallen konnte. dies ist nun völlig unwesentlich, was bleibt ist, die leistung, sein wunsch zur klarheit, organisation.
aber – so blöd ist es – man muss verwesen, um begriffen zu werden.
seine ausstellung hier in london ohne grosse vorbereitung zu machen würde sicherlich sehr schwierig sein,
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weil es ohne wirkung verpuffte. Die leute würden gar nicht kapieren, worum es sich handelt. nelly doesburg müsste mal selbst erst nach london kommen, um zu sehen, ob die zeit dafür reif ist. ich glaube sie könnte eher durch barr jr new york etwas machen, der sehr warm über d. in dem katalog der abstract art – der übrigens in vieler hinsicht ein merkwürdiges buch ist, geschrieben hat.
ich grüsse euch sehr!
euer
m-n
was macht frau süss? Lange nichts von ihr gehört. und rose?
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diese sürrealistische ausstellung ist eben hier ein gefährliche und in vieler hinsicht unsympatischer tohuwabohu.
Rendezvousstelle für schwule leute merkwürdigerweise