Ernst Toller

Ernst Toller war vor allen Dingen ein lieber Mensch gewesen. Ich hatte mir ihn genau so vorgestellt damals – und war gar nicht überrascht, als ich ihn sah im schlichten Rock vor uns auf dem Podium. Wir eilten wie zu einem Gottesdienst - alle alle hin in den grossen Saal in Berlin, mitten in Berlin, ihn zu begrüssen und zu hören endlich aus sechsjähriger Haft befreit. Immer schrieb er mir so liebreich aus dem Gefängniss; als ob ich gefangen und er in Freiheit.

Ich hatte ihn mir ganz genau so einfach gedacht wie ich ihn nun sah. Er glich etwa Senna Hoy, dem himmlischen Königssohn, dem Sascha in meinen Büchern. Aber auch beider Schicksale ähnelten sich; gestorben beide für die Menschheit! Zwei Engel!... Und da diskutierte man, ob sie eitel gewesen der Ernest und der Sascha??? Neun Jahre siegte dahin mein von mir rein geliebter Indianerspielgefährte Sascha in einem der Tower der Zarenzeit bei Moskau. Auch nach seinem grossen Opfertode warf man die Frage auf, ob er eitel oder nicht eitel gewesen? Beseeligt waren die zwei heiligen Kämpfer und dankerfüllt über ihrer Flügel Flug. Sie waren beide grosse Engel!

Gewiss man muss ein blaues Herz besitzen, um es zu wissen; eine blaue Wolke am Rande des Herzens verspüren. Kein Geweihter schreitet unerkannt am Dichter oder an der Dichterin vorbei.

Senna Hoy schnitt sich die Adern auf im Zuchthaus, schwer an Tuberkulose erkrankt. Er verblutete langsam, ja feierlich, ein erlegtes Wild. "Er war ein heiliger Feldherr", sagte der Hofrat, der Direktor des Schreckenhauses zu mir.

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Auch Ernst Toller brach sich selbst vom jungen Zweige ab... Von Dämmerung träumte zu oft sein Herz. Seine Augen glichen Haselnüssen, verwundert, die eben erst aus der Schale guckten. Seine Haare strömten herben Strauchduft aus.

Er liebte Wälder und Gärten; oft reiste er in die Städte seiner Freunde, um die Wälder und Gärten ihrer Heimat zu besuchen. So kam er auch in meine Heimat und sandte mir den Garten meines teuren Elternhauses in Miniature in einer weissen Pappschachtel. Drinnen lauter crystallene Kieselsteinchen der lieben Pfade. Zackige Kastanienblätter deckten sie zu und auf den Kastanienblättern lagen von unserm Kastanienbaum einige von den glänzenden Kastanien, aber auch noch nicht geschälte – "grüne Igel", mit denen ich und meine Schulkameradinnen Gemüsemarkt zu spielen pflegten. Aber auch einen winzigen Akazienzweig und eine Jasminblüte meines Lieblingsbuschs vergass der Ernest nicht beizulegen. Vor allen Dingen eine schon ergraute Indianerfeder meines Indianerhuts, holte er doch hinter der Laube mit Mühe ans Tageslicht tief aus der Erde hervor; und erhob somit den Garten der Presentschachtel in den Häuptlingsstand.

Ich war damals "so" entzückt... ich konnte doch wieder in unserem Garten spazieren gehen, ja mich ab und zu in ihm herumtummeln!

Ich bin dem Ernst Toller furchtbar gut wie dem Gleichniss eines Menschen, den man ewiglich liebt.

Manchmal schrieb mir seine feine Mutter, aber stets voll Sorge um Ernst, der schon als Knabe "so trotzig" gewesen. Aber zwischen Zeile und Zeile ihrer Briefe leuchtete der Stolz ihres schönen Herzens. Ihres Sohnes Seele war eine geläuterte Seele, von Gott geliebt. Ich wiederhole fast wörtlich den Schlussakkord  seiner [Seite 3] damaligen ersten Rede nach der Haft: Ernst betonte: "Wenn ein Mensch auch nur ein Zehntel fähig des Nebenmenschen Leid mizufühlen, so gäbe es bald keine Ungerechtigkeit und keinen Hass mehr auf Erden."

Ich weihe Ernst Toller dieses Gedicht und lege es, eine liebe Blume in seine gute Hand:

 

Ich pflücke mir am Weg das letzte Tausenschön...

Es kam ein Engel mir – mein Totenkleid zu nähen –

Denn – ich muss andere Welten weiter tragen..

 

Das ewige Leben – dem, der viel von Liebe weiss zu sagen.

Ein Mensch der Liebe kann nur auferstehen!

Hass schachtelt ein, wie hoch die Fackel auch mag schlagen!!

 

Ich will dir viel viel Liebe sagen,

Wenn auch schon kühle Stürme wehen,

In Wirbeln sich um Bäume drehen,

Um Herzen, die in ihren Wiegen lagen.

 

Mir ist auf Erden weh geschehen –

Der Mond giebt Antwort dir auf deine Fragen.

Er sah verhängt mich auch an Tagen,

Die zaghaft ich beging auf Zehen.

 

Bald rosten alle Blätter der Alleen......

Und viele ihrer Früchte faulen auf den Seen.

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Ernst Toller

(Davidstern)