Prag
Ich war gerne in Prag. Wie schon einmal nach den dreißigjährigen verheerenden Religionskriegen war Prag abermals ein kosmopolitisches Zentrum geworden, in dem sich zum letztenmal Europa traf.
Oskar Kokoschka über seine Prager Exilzeit 1934 bis 1938 in seiner Autobiographie Mein Leben
Zwischen 1933 und 1939 zog die tschechoslowakische Hauptstadt Prag eine Vielzahl in Deutschland verfemter Künstler als Exilstätte an. Jene Emigranten fanden dort einen „festen literarisch-künstlerischen Resonanzboden“ vor (Heumos, Tschechoslowakei, 1998), der sich aus dem jahrhundertealten Mit- und Nebeneinander tschechischer, jüdischer und deutscher Kultur formierte. Dieses deutsche Milieu sowie die Tatsache, dass Künstler von einem Berufsverbot für Ausländer ausgenommen waren, begünstigten einen Neuanfang in der Moldaumetropole.
Dank liberaler Gesetze war es Exilzeitungen und -verlagen von Prag aus möglich, weitgehend zensurfrei Kritik am nationalsozialistischen Deutschland zu äußern. John Heartfields Fotocollagen für die Arbeiter Illustrierte Zeitung vermögen diesen hohen Grad der Meinungsfreiheit ebenso zu illustrieren wie die publizistische Tätigkeit seines Bruders Wieland Herzfelde im Malik-Verlag. Die Schauspielerin Hedda Zinner konnte antifaschistisches Kabarett betreiben. Unter den emigrierten bildenden Künstlern befanden sich beispielsweise Theo Balden oder Oskar Kokoschka, der die Stadt mehrfach malte.
Facettenreiche Aktivitäten in Prager Emigrantenkreisen für eine freie deutsche Kunst und ein anderes Deutschland zogen temporär auch andernorts lebende Exilanten wie Lion Feuchtwanger, Johannes R. Becher oder Erwin Piscator in die Stadt. Zusammenschlüsse wie der Bertolt-Brecht-Club, der Oskar-Kokoschka-Bund oder die Thomas-Mann-Gesellschaft waren Ausdruck eines Bemühens um organisierten Zusammenhalt, Selbstvergewisserung und Positionierung gegen Hitlers (Kunst-)Politik.
Die vergleichsweise günstigen Lebensbedingungen in Prag dürfen aber nicht vergessen lassen, dass auch dort das Leben der Emigranten vom Verlust der Heimat sowie von Sorgen um Alltag und Zukunft verdunkelt wurde, zumal die liberale Haltung der Prager Regierung innenpolitisch kontrovers diskutiert wurde und keineswegs unumstößlich schien.
Ein Ankommen im Sinne einer staatlichen Einbürgerung, wie es Heinrich und Thomas Mann widerfuhr, blieb die Ausnahme. Vielmehr fungierte Prag für eine Vielzahl seiner Emigranten letztlich als eine Station, um ein von Deutschland noch ferneres Exil zu finden. Die Lebenswege von Hans Sahl, Stefan Heym oder Ricarda und Heinz Schwerin bieten hierfür individuelle Beispiele.
Mit dem Münchner Abkommen im September 1938 rückten die Nationalsozialisten räumlich näher an Prag heran. Helmut Krommer steht exemplarisch für viele, die schließlich nach dem völkerrechtswidrigen Einmarsch deutscher Truppen im März 1939 aus Lebensgefahr flohen, weil die Stadt nun keinen Schutz vor nationalsozialistischer Verfolgung mehr bot.