Fotografie: Hafenviertel Marseille 1943
Eine Deportation von Juden im Hafenviertel von Marseille, 24. Januar 1943
Bild 101I-027-1477-29, © Bundesarchiv, Fotograf: Wolfgang Vennemann

Marseille

Ich war 7 Monate in einem Irrenhaus. Das Irrenhaus hieß Marseille. Auch ich war vor Elend irre gewesen, in Marseille.

Soma Morgenstern, Pariser Tagebuch, 24. August 1950


Mit dem Einmarsch der Wehrmacht im Sommer 1940 war Frankreich kein sicheres Exilland mehr. Es setzte eine Massenflucht in die unbesetzte „zone libre“ im Süden des Landes ein. Doch auch dort waren deutsche Emigranten auf Dauer nicht geschützt, da Regierungschef Pétain sich im Waffenstillstandsabkommen verpflichtet hatte, sie auf Verlangen auszuliefern. Die Hafenstadt Marseille wurde daher zum Ziel von tausenden Flüchtlingen, die Europa schnellstmöglich Richtung Übersee verlassen wollten. 

Dort begann der Kampf mit der Bürokratie um die nötigen Papiere. Für die Hauptfluchtroute über Spanien und Portugal waren neben einer französischen Ausreisegenehmigung Transitvisa für beide Länder und das Visum eines Aufnahmelandes in Übersee nötig, deren Einwanderungspolitik sich jedoch ständig änderte. Manchmal war das Visum für eines der Länder schon abgelaufen, bevor alle nötigen Unterlagen beisammen waren, oder die gebuchte Schiffspassage wurde kriegsbedingt ersatzlos gestrichen. Erschwert wurde die Organisation einer legalen Ausreise für viele auch dadurch, dass sie bei ihrer Ankunft in Marseille keine gültigen Papiere mehr besaßen oder nach ihrer Ausbürgerung aus Deutschland staatenlos waren.

Mehrere Hilfskomitees, darunter jüdische Organisationen, Quäker und Unitarier, versuchten, den Flüchtlingen vor Ort beizustehen – notfalls auch mit illegalen Mitteln. Das zur Rettung von Künstlern und Intellektuellen gegründete Emergency Rescue Committee schickte Varian Fry nach Marseille. Unter anderem half das ERC beim illegalen Grenzübertritt zu Fuß über die Pyrenäen oder verschaffte Exilanten Schiffspassagen.

Im August 1942, noch vor dem Einmarsch der deutschen Truppen, begannen auch in der unbesetzten französischen Zone die Deportation von Juden und anderen Flüchtlingen. Wer konnte, tauchte unter oder versuchte, in die Schweiz zu fliehen. Das Hafenviertel von Marseille wurde im Frühjahr 1943 von den Deutschen geräumt und zu einem Großteil zerstört.

Weiterführende Literatur:
Klein, Anne: Flüchtlingspolitik und Flüchtlingshilfe 1940-1942. Varian Fry und die Komitees zur Rettung politisch Verfolgter in New York und Marseille. Berlin: Metropol 2007 
Exil am Mittelmeer. Deutsche Schriftsteller in Südfrankreich von 1933-1941. Hg. von Ulrike Voswinckel und Frank Berninger. München: Allitera Verlag 2005
Ohne zu zögern. Varian Fry: Berlin – Marseille – New York. [Ausstellungskatalog] Berlin: Aktives Museum 2007

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