Fluchtwege: Serpa Pinto
Fluchtwege: Serpa Pinto
Nach den Erfahrungen in Frankreich und auf der Reise berührt es uns eigenartig, daß bei all diesen Amtsprozeduren die Menschen, die in ihren Pässen den Vermerk ‚refugiado antifascista’, antifaschistischer Flüchtling, tragen, als besonders willkommene Gäste des Landes betrachtet werden. Noch auf dem Schiff erhalten wir Früchte, Zigaretten und Zeitungen.
Lenka Reiner, deutschsprachige Schriftstellerin aus Prag, Dezember 1941
Die portugiesische Reederei Companhia Colonial de Navegação schickte ihren neu erworbenen, renovierten und umgebauten Dampfer Serpa Pinto im Mai 1940 erstmals auf Fahrt. Das Schiff war ursprünglich 1914 in Belfast gebaut und zwischenzeitlich für vielfältige Zwecke eingesetzt worden. Während des Zweiten Weltkriegs unternahm die Serpa Pinto unter neutraler portugiesischer Flagge zahlreiche transatlantische Passagierfahrten, bei denen deutsche NS-Sympathisanten von Südamerika zurück nach Europa gelangten. Auf umgekehrtem Wege gelang tausenden, vor allem jüdischen Flüchtlingen von Lissabon und Casablanca aus die Flucht nach Überssee. Unterstützung erhielten sie dabei oft von Hilfsorganisationen wie der HICEM, einem Zusammenschluss amerikanischer, englischer und deutscher Auswanderungsverbände, der seinen Sitz seit 1940 in der portugiesischen Hauptstadt hatte.
An Bord der Serpa Pinto erreichten unter anderem der expressionistische Schriftsteller Iwan Heilbutt sowie die kommunistischen Publizisten Walter Janka und Charlotte Janka, Georg Stibi und Alexander Abusch das mexikanische Exil. Auch französische Intellektuelle wie Simone Weil und Marcel Duchamp verließen mit dem Schiff das europäische Festland. Mehrfach entging es unter dem Kommando von Kapitän Américo dos Santos dabei nur knapp der Versenkung. Da ab Herbst 1941 ein Auswanderungsverbot für Juden aus dem deutschen Einflussgebiet galt, gelang es in der Folge nur noch wenigen Flüchtlingen, sich über die ausländischen Häfen nach Übersee einzuschiffen. Die Serpa Pinto wurde fortan vor allem für den Austausch von Bürgern zwischen den kriegführenden Staaten eingesetzt.
Weiterführende Literatur:
Dijn, Rosine De: Das Schicksalsschiff. Rio de Janeiro – Lissabon – New York 1942. München: Deutsche Verlags-Anstalt 2009
Kießling, Wolfgang: Exil in Lateinamerika. Leipzig: Philipp Reclam 1980
Mühlen, Patrick von zur: Fluchtweg Spanien – Portugal. Die deutsche Emigration und der Exodus aus Europa 1933 – 1945. Bonn: Dietz 1992