Café Le Tournon
Café Le Tournon
Ohne daß etwas ausgesprochen worden war, fühlte ich nach einer Stunde, daß in diesem von Kitsch, Tabakqualm und Alkoholdunst erfüllten Raum das Herz der österreichischen Emigration schlug.
Conrad Lester in einem Vortrag in Wien 1972
Ähnlich wie die Kaffeehäuser und Salons in Wien und anderen Städten waren auch die Pariser Cafés wichtige Anziehungspunkte für Intellektuelle und Schriftsteller. Für Exilanten dienten sie häufig als Arbeits- und Redaktionszimmer. Man tauschte Neuigkeiten aus, pflegte Netzwerke und teilte gemeinsame Erfahrungen.
Das Café Le Tournon im Erdgeschoss des Hôtel de la Poste war bis zum Einzug deutscher Truppen in Paris besonders unter österreichischen Emigranten ein beliebter Treffpunkt. Dort traf sich in den Jahren 1938/1939 auch Joseph Roths „Entourage“ – wie Soma Morgenstern den Kreis von Katholiken und Monarchisten um den Schriftstellerkollegen Roth nannte. Darunter waren auch Franz Hildebrand, später Mitarbeiter im Centre Américaine de Secours, Klaus Dohrn, Mitherausgeber der Wiener Zeitschrift Der christliche Ständestaat sowie sein Bruder Serge Dohrn, mit dem Soma Morgenstern später die Erfahrung von Internierung und Flucht teilte.
Zu den Cafégästen zählten zeitweise auch Joseph Constantinovsky, ein Bildhauer und Autor, der auch unter dem Namen Michel Matveev bekannt war und den Roman Les Traqués geschrieben hatte, Hans Natonek, Freund und Schriftstellerkollege von Joseph Roth, sowie der Zeichner Bil Spira. Auf Fotografien und Porträts, die Zusammenkünfte im Le Tournon dokumentieren, finden sich unter den Gästen auch Franz Werfel und Egon Erwin Kisch.