Autobiografie
Dieses Erlebnisbuch soll eine Brücke bauen, die das Heute mit dem Gestern verbindet […]. Eine Brücke, über den Riss der Zeit hinweg […]
Die Schriftstellerin Hertha Pauli, Heinrich Heine zitierend, im Geleitwort zu ihrer Autobiografie Der Riss der Zeit geht durch mein Herz, 1970
In großer Zahl haben exilierte Schriftsteller*innen und Künstler*innen anderer Sparten Autobiografien verfasst. Viele von ihnen haben sich dabei als „Vertreter ihrer Generation“ beschrieben (Richard Critchfield, „Einige Überlegungen zur Problematik der Exilautobiographik“, Jahrbuch Exilforschung, 1984). Das diesen Texten oftmals zugrundeliegende Bedürfnis, die eigene Exilerfahrung als Teil einer allgemeingültigen Beschreibung einer krisenhaften Epoche darzustellen, tritt dabei nicht selten in Konflikt mit einem wesentlichen Merkmal der Gattung: subjektiv zu sein und auf der eigenen Erinnerung beruhend zu schreiben.
Die autobiografischen Texte der Exilierten weisen ein breites Spektrum an Gestaltungsformen auf. Sie sind in unterschiedlichem Ausmaß dokumentarisch und arbeiten beispielsweise mit eingestreuten Dokumenten, Briefen oder Tagebuchnotizen. Manche Autobiografien unterlaufen jedoch bewusst die Erwartung, dass der Text von unmittelbar selbst Erlebtem berichtet, und arbeiten mit autofiktionalen Elementen. Die Grenze zum Roman ist mitunter fließend.
Auch andere Traditionen der Gattung werden in Frage gestellt. So nimmt etwa die Darstellung der Persönlichkeitsentwicklung in der Zeit der Kindheit und Jugend zuweilen nur geringen Raum ein, während Analysen geschichtlicher oder politischer Themen weit ausgreifen.
Dass der Wunsch nach Selbstvergewisserung im autobiografischen Schreiben nicht nur exilierte Künstler*innen betrifft, zeigte schon 1939 das Preisausschreiben „Mein Leben in Deutschland vor und nach dem 30. Januar 1933“, das von der Harvard University ausgelobt wurde und sich ausdrücklich an alle Emigrant*innen aus dem deutschsprachigen Machtbereich des Nationalsozialismus richtete. Der Ausschreibung folgten 250 Einsendungen – die Manuskripte umfassten teilweise mehrere hundert Seiten. Sie wurden von Schriftsteller*innen und Journalist*innen verfasst, aber auch von Ärzt*innen, Lehrer*innen, Rechtsanwält*innen und Angehörigen vieler anderer Berufe.
Weiterführende Literatur:
Krause, Robert: Lebensgeschichten aus der Fremde. Autobiografien deutschsprachiger emigrierter SchriftstellerInnen als Beispiele literarischer Akkulturation nach 1933, München: edition text + kritik 2010.
Krohn, Claus-Dieter et al. (Hg.): Autobiografie und wissenschaftliche Biografik. Exilforschung. Ein internationales Jahrbuch, Band 23, München: exition text + kritik 2005.
Ausgewählte Autobiografien:
Gottfried Bermann-Fischer: Bedroht – bewahrt. Weg eines Verlegers (1967)
Elisabeth Castonier: Stürmisch bis heiter. Memoiren einer Außenseiterin (1964)
Alfred Döblin: Schicksalsreise. Bericht und Bekenntnis (1949)
George Grosz: Ein kleines Ja und ein großes Nein. Sein Leben von ihm selbst erzählt (1955)
Irmgard Keun: Bilder und Gedichte aus der Emigration (1947)
Heinrich Mann: Ein Zeitalter wird besichtigt (1946)
Klaus Mann: Der Wendepunkt. Ein Lebensbericht (1952)
Hertha Pauli: Der Riss der Zeit geht durch mein Herz (1970)
Steffie Spira: Trab der Schaukelpferde (1991)
Adrienne Thomas: „Reisen Sie ab, Mademoiselle“ (1947)
Bruno Walter: Thema und Variationen. Erinnerungen und Gedanken (1960)
Eva Wysbar: „Hinaus aus Deutschland, irgendwohin …“ (2000)
Stefan Zweig: Die Welt von gestern (1942)