Registrierschein

Oskar Pastior: Registrierschein
DLA Marbach, Nachlass Oskar Pastior, © Prof. Dr. Klaus Ramm

Registrierschein

Junges Museum

Betrachten wir unser Exponat, fällt zuerst das fettgedruckte Wort "Registrierschein" oben in der Mitte auf. Erst auf den zweiten Blick erkennen wir, dass es sich bei dem Inhaber um Oskar Pastior handelt. In der Mitte des Scheins wurden sein Name, sein Geburtsort Hermannstadt in Siebenbürgen und seine Ausbildung mit einer Schreibmaschine eingetragen.

Ungewöhnlich und zahlreich erscheinen uns die vielen Orte, die erwähnt werden. Sortiert man die Orte nach Datum, erhält man eine Art Route, die die einzelnen Stationen, die Oskar Pastior in seinem Leben durchlaufen hat, nachzeichnet. Seine Kindheit verbringt er in Hermannstadt, gelegen im heutigen Rumänien. Mit 18 wird er nach Russland verschleppt. Uns erscheint es seltsam, dass die Angabe "verschleppt nach Russland" auftaucht, Pastior war doch eigentlich in der Ukraine in einem Lager interniert. Liegt hier also ein Fehler vor? Die Frage ist berechtigt, das Problem lässt sich jedoch einfach auflösen. Mit Russland ist sicherlich das Gebiet der Sowjetunion gemeint, zu der die Ukraine damals gehörte.

Nach seiner Entlassung zieht Oskar Pastior nach Bukarest um, wo er bis zu seiner Flucht 1968 wohnt. Das Jahr 1968 stellt eine Wende dar. Alle folgenden Anlaufstellen und Aufenthaltsorte Pastiors liegen in Deutschland. Grund dafür ist die Flucht des damals bereits vierzigjährigen Pastiors. Doch was bewegt einen Vierzigjährigen, noch einmal ein neues Leben anzufangen? Für Pastior ist der Studienaufenthalt in Wien die einmalige Gelegenheit, der kommunistischen Diktatur in Rumänien zu entkommen. Über Salzburg und München führt ihn die Flucht nach Nürnberg.

Warum ausgerechnet Nürnberg? Nürnberg ist die Durchgangsstelle, bei der sich alle Aussiedler und Vertriebenen melden müssen, um Geld für die Anfangsphase zu bekommen und persönliche Daten zur Registrierung aufzugeben. Zwischen seinem letzten Aufenthalt in Bukarest und seiner Ankunft in Nürnberg liegen nur drei Wochen, aber drei Ortswechsel. Wie er diese Zeit wohl verbracht hat? Wie anstrengend eine solche Flucht sein muss und wie groß die Angst gewesen sein muss, können wir uns wohl nicht vorstellen.

Ebenso wie die vielen Orte fallen uns die vielen Stempel auf, die auf dem gesamten Dokument verteilt sind. Gleich zweimal findet sich der Stempel "ausgezahlt" auf dem Schein. Doch was wurde ausgezahlt? Pastior bekam finanzielle Hilfe in Form eines Begrüßungs- und eines Überbrückungsgeldes. Zwar bekam er jeweils den höheren Betrag und verfügte am Ende über 120 DM, aber wie soll man damit die nächsten Wochen überleben – geschweige denn, sich davon eine neue Existenz aufbauen? Die Frage muss an dieser Stelle unbeantwortet bleiben. Wir wissen nur, dass sein neuer Lebensmittelpunkt ab 1969 Berlin wird, wo er als freier Schriftsteller arbeitet.

Mit der Einreise nach Deutschland wurde er nun vor die Wahl zwischen der rumänischen und der deutschen Staatsbürgerschaft gestellt (als Siebenbürger war er Bürger Rumäniens). Die Tatsache, dass er sich letztendlich für die deutsche Staatsbürgerschaft entschied, lässt vermuten, dass Pastior mit seiner Vergangenheit abschließen wollte, um ein neues Leben zu beginnen.

Nach längerer Betrachtung lässt sich vermuten, dass dieses auf den ersten Blick sachlich und nüchtern wirkende Dokument weit mehr sein könnte. Für Pastior war es wohl symbolisch ein Freifahrschein in ein neues Leben. Denn hier in Deutschland wurden und werden wichtige Rechte und Werte wie Meinungsfreiheit oder das Recht auf Privatsphäre gewährleistet, während in Rumänien Bespitzelung, Zensur und Unterdrückung sein Leben bestimmten. Die neu gewonnene Freiheit war für ihn als Künstler und Schriftsteller sicher von großer Bedeutung.

von Helena Haug, Mae Pfeifer und Anna-Lena Wirsching