Oskar Pastior: Pralinenschachtel
DLA Marbach, Nachlass Oskar Pastior, © Prof. Dr. Klaus Ramm

Anagrammierbox

Junges Museum

Nanu, was ist das denn? Ein Haufen Altpapier, oder was denkst du? Wer bewahrt denn schon Papierschnipsel in einer Schachtel auf? Schaut man genauer hin, lassen sich weiße und bedruckte Schnipsel unterscheiden. All diese sind versehen mit handgeschriebenen Buchstaben. Wie du siehst, ist das Innere der Schachtel bedeckt von diesen Buchstaben, außen aber wirkt sie wie ein kostbares Stück und schimmert golden. Die etwas kleinere Schachtel, die genau in den unteren Boden zu passen scheint, hat denselben Goldton. Wahrscheinlich wird diese Steckschachtel mit dem beiliegenden rosa-gold-farbenen Deckel, der einer Schlangenhaut gleicht, geschlossen.

Bei genauerer Betrachtung fällt auf, dass sich zwischen den Buchstaben etwas größere orange-farbene Kärtchen befinden. Sind diese auch mit Buchstaben beschriftet, oder stehen dort etwa schon erste Entwürfe für ein späteres Meisterwerk?

Neben der Schachtel liegen einzeln verstreute Buchstabenschnipsel. Wer hat sie dort liegen gelassen? Vermutlich jemand, der gerade auf der Suche nach einem neuen Wort war. Wir haben unser Exponat Buchstabenanagrammierschatztruhe getauft. Denn Oskar Pastior war versessen auf das Anagrammieren, und genau das hat er mit diesen Buchstaben getan. Ein kompliziertes Wort für ein einfaches Spiel: Durch das Verschieben und Vertauschen von Buchstaben eines ausgewählten Wortes können viele verschiedene Wörter entstehen, auch Wortneuschöpfungen sind möglich. Pastior hat zum Beispiel aus dem Wort SEINESGLEICHEN Anagramme gebildet, die er dann zu einem Gedicht zusammengefügt hat. Wir haben seine Technik ausprobiert: Dabei entstanden besondere Wörter und Sätze wie ICH SINNE GELEES, SCHEINGEISELN oder ES SCHNEIEN IGEL. Eigentlich ganz einfach, oder? Oskar Pastior war fasziniert von dieser unnötigen, richtungslosen und dadurch ein wenig endlosen Spielweise.

Das Anagrammieren entdeckte Pastior durch einen Zufall. 1983, bei einem Aufenthalt in Rom, fielen ihm in einer Bibliothek die Kalendergeschichten von Johann Peter Hebel in die Hände. Nicht die Geschichten, sondern das Inhaltsverzeichnis faszinierte ihn am meisten. Titel wie "Einer Edelfrau schlaflose Nacht" gefielen ihm so, dass er beschloss, damit Anagrammgedichte zu machen.

Oskar Pastior war buchstäblich permanent dabei, sich die Zeit mit Anagrammieren zu vertreiben, und auch wir haben uns in das Buchstabenpuzzle verrannt. Es war spannend, über neuen Wörtern zu knobeln. Das hört sich jetzt vielleicht etwas bizarr an, aber versuche es nur selbst einmal und du wirst merken, wie die Buchstaben dich in ihren Bann ziehen.

von Lea-Carina Schadt, Katrin Schüßler und Carolin Veigel