Arthur Schnitzler, "Casanovas Heimfahrt", Exemplar aus einer Bücherverbrennung 1933
Arthur Schnitzler, "Casanovas Heimfahrt", Exemplar aus einer Bücherverbrennung 1933
Arthur
Sophie packte ihre Bücher in einen Sack. Es widerte sie an, sich von ihnen trennen zu müssen, es war eine Qual. Aber sie würde umgebracht, wenn sie ihre „schmutzigen“ und - nach Meinung der Nationalsozialisten - „unreinen“ Bücher nicht zur Bücherverbrennung bringen würde. Bevor sie ging, zog sie sich eine Kapuze über.
Von Weitem sah sie bereits ein Leuchten vom Marktplatz, das den Tod tausender Bücher verkündete. Die Veranstalter der öffentlichen Bücherverbrennung standen im Kreis um das Feuer und wiesen die unfreiwilligen Besucher an, ihre Ware zu verbrennen. Auch Sophie musste ihren Leinensack mit Büchern, für die sie ein halbes Vermögen ausgegeben hatte, auf den Scheiterhaufen werfen. Den Blick gesenkt, um ihre Tränen zu verbergen, fiel ihr Augenmerk auf ein kleines, angekohltes braunes Buch. Es lag außerhalb des brennenden Haufens und war wie durch ein Wunder fast unversehrt. Sophie schob einen Fuß darauf und bückte sich, als würde sie ihren Strumpf hochziehen. Sie ließ das Buch unter ihrem Kleid verschwinden. Sie wollte es unbedingt haben, denn sie kannte es zweifelsohne. Ihr langjähriger Freund, Arthur Schnitzler, hatte es geschrieben und unzählige Male daraus zitiert. Casanovas Heimfahrt ... Ja, das war der Titel. Sie erinnerte sich deutlich, als wäre es erst gestern gewesen ... Aber der arme Mann war bereits seit über zwei Jahren tot.
Ein starker Schmerz riss Sophie aus ihren Gedanken. Sie schrie auf und fuhr herum. Ein Braunhemd der SA hatte sie mit seinem Gewehr geschlagen. „Leg das wieder hin, Frau!“, forderte er. „Es ist mir gerade aus der Tasche gefallen, als ich mich bückte. Mein Tagebuch“, erklärte Sophie. „Das ist es verdammt noch mal nicht! Ich weiß, was das ist. Hab es zufällig vorher selbst weggeworfen. Also zum letzten Mal, leg das Buch weg, oder du wanderst schön ins -“ Sophie hatte genug gehört. Mit aller Kraft rammte sie dem Soldaten das Knie zwischen die Beine und rannte Hals über Kopf davon.
In einer Seitengasse lehnte sie sich atemlos gegen eine Wand und presste die Hände in die Seiten. Dann holte sie den Gegenstand hervor, für den sie sich freiwillig in die Schwierigkeiten brachte, in die sie zweifellos geraten würde, wenn die Nationalsozialisten sie erwischten: Das Buch ihres guten Freundes, Arthur Schnitzler. Sie würde es sich später ansehen, doch zuerst musste sie hier weg. Sie rannte so schnell, wie es ihre 63 Jahre und ihr Rheuma es zuließen. Ihre Erinnerungen überwältigten sie jetzt mit aller Macht.
Sie ging mit Arthur Hand in Hand an der Mauer des Piers entlang. Die aromatisch salzige Luft umströmte die beiden sanft. Dann krachte plötzlich eine Welle an die Mauer und spritzte die beiden klatschnass. Lachend fielen sie auf eine Wiese, beobachteten die Sterne und ließen sich im salzigen Wind trockenen. Das war eine von Sophies schönsten Nächten. Die Erinnerung war so nah ... Und doch so weit weg, denn Artur war tot.
Sophie merkte gar nicht, dass ihre Füße sie zu ebendieser Stelle trugen. Da stand sie, am Rande der Wiese, und alles war so wie früher ... die Bäume, die Wiese und die Sterne. Alles bis auf die Rosenbüsche, die so alt und knorrig waren wie sie selbst ... Und sie wusste, wo sie das Buch verstecken wollte. Sie legte es in das Kästchen unter den Rosenbüschen, in dem sie vor Jahren die Erinnerungen an Arthur versteckt hatte.
von Lennert Weiß
Arthur Schnitzler
AKT I AUS „ARTHUR“
Studenten inszenieren eine Bücherverbrennung auf dem Kieler Marktplatz. Die Schreibwarenhändlerin Sophie wundert sich über den Lärm vor ihrem Haus und entdeckt die wütenden Nationalsozialisten. Sie, die sie Bücher liebt, geht auf den Scheiterhaufen zu und findet, schon leicht angekokelt, ein Buch ihres Freundes, des Schriftstellers Arthur Schnitzler. Die tobende Masse versucht, sie daran zu hindern, das Buch mitzunehmen, sie kann aber entkommen. In einer Seitengasse erinnert sie sich an die lange Freundschaft mit dem zwei Jahre zuvor verstorbenen Arthur.
Die Studenten strömen von links auf die Bühne, die den Marktplatz darstellt. In der Mitte liegt ein Haufen Bücher. Im Hintergrund schließt Sophie gerade ihre Fensterläden, um ins Bett zu gehen. Sie wohnt im mittleren von drei Häusern, zwischen ihnen sind kleine Gassen
NAZIS schreien durcheinander: Nieder mit den Juden! Für das deutsche Volk!
DEREN ANFÜHRER löst sich aus der Menge, faltet ein Blatt auseinander und liest: Liebe Freunde! Wir sind heute zusammengekommen, um das deutschenfeindliche Gedankengut der Juden und der nichtarischen Rassen zu vernichten! Damit schützen wir das deutsche Volk vor dem Gift, das den Geist zerfrisst und das Bewusstsein zerstört, ein Deutscher zu sein! Verbrennen wir es auf einem Scheiterhaufen als Zeichen des baldigen Sieges! Heil Hitler!
NAZIS schreiend: Heil Hitler!
Sophie öffnet ihr Fenster, während die Studenten den Scheiterhaufen jubeln in Brand setzen.
SOPHIE Was ist das hier für ein Lärm? Ein Lagerfeuer? Moment mal - das sind ja Bücher, die sie hier verbrennen! Diese Schweine! Jetzt fangen sie schon an, bei den Büchern nach „richtig“ und „falsch“ zu sortieren!
Sie zieht die Fensterläden zu und kommt wenig später unten aus ihrem Laden. Die Nationalsozialisten jubeln weiter. Sophie geht auf den Scheiterhaufen zu.
SOPHIE (leise): Ich kann es nicht fassen: Sie verbrennen tatsächlich Bücher! So was! Aber - (bückt sich) das ist ein Buch von Arthur! von Arthur Schnitzler, meinem Freund!
Sie nimmt das Buch und versucht, sich davonzuschleichen.
ANFÜHRER (rufend): Sie können das nicht mitnehmen - He!
Eine Verfolgungsjagd beginnt: Zunächst flieht Sophie über den Marktplatz, dann biegt sie in eine Gasse ein, die Studenten folgen ihr. Man sieht, wie sie endlich in eine Gasse fliehen kann. Das Feuer ist inzwischen erloschen.
ANFÜHRER: Kommt Leute, wir gehen in die nächste Kneipe, feiern!
Die Studenten gehen, Sophie tritt auf den Marktplatz, bückt sich zum Scheiterhaufen.
SOPHIE (ungläubig): Bücher! Auch von dir, Arthur! Dabei hast du ihnen doch gar nichts getan!
Steht auf, in Gedanken versunken.
von Daniel Gruner