Bertolt Brecht in Santa Monica, 1945

Bertolt Brecht in Santa Monica
DLA Marbach, © Suhrkamp Verlag

Bertolt Brecht in Santa Monica, 1945

Junges Museum

Bertolt Brecht in Santa Monica

Es fiel Regen in jener Nacht. Ein feiner, wispernder Regen. Noch viele Jahre später musste er nur die Augen schließen, um ihn zu hören. Wie winzige Finger, die gegen die Fensterscheiben seiner kleinen Wohnung klopften. Noch viele Jahre später musste er nur die Augen schließen, um sich gestochen scharf an die Nacht zu erinnern, in der so vieles begann und sich so vieles für immer ändern würde. Und noch viele Jahre später konnte er sich an die klebrige Angst erinnern, die in jener Nacht in seinem Herzen wuchs, dort ihre schwarzen Flügel spreizte.

Schon damals war es mehr als nur eine Ahnung, es war eine Gewissheit: die Gewissheit, in seinem eigenen Land unerwünscht, ja verhasst zu sein. Vor weniger als drei Wochen hatte er sein Heimatland Deutschland verlassen, in der Hoffnung, dass alles besser werden würde, dass seine Werke wieder aufgeführt werden würden, dass er mit seiner Familie ein lebenswürdiges Leben führen durfte. Doch es war eben nur eine Hoffnung geblieben, eine Hoffnung, die für ihn in unerreichbare Ferne gerückt war. Wegen der deutschen Regierung, wegen Hitler hatte Bertolt Brecht alles verloren, wegen ihm lebte er mit seiner Familie in einer elf auf zwölf Fuß großen Wohnung mit rosa gestrichenen Türen. Die deutsche Regierung hatte ihm seinen Lebensinhalt gestohlen.

Als er jetzt den Artikel, triefend vor Spott, Hohn und Abscheu in der Zeitung gelesen hatte, musste er sich erst einmal hinlegen. Angezogen lag er auf seinem kleinen Bett  und las, was weiterhin in Deutschland passierte. Er las wie in Trance, starrte auf den Artikel und versuchte zu verstehen, was er dort sah, versuchte seine Gedanken zu ordnen. Gefasst zu wirken, um seiner Frau und seinen Kindern am Abend den Entschluss mitzuteilen. Langsam brach die Nacht herein, dunkel und feucht, und das Rauschen des Regens klang bedrohlich laut. Die Nacht kam wabernd und kalt, sie verschlang wie ein Tier alle Fröhlichkeit und ließ Bertold als Mann zurück, der die Gewissheit hatten, alles verloren zu haben, was ihm wichtig gewesen war. Als einen Mann, der wegen Hitler weit von seiner Heimat entfernt und ohne Familie in Exil leben muss. Ein Mann wie alle.

von Julika Merckle


Bertolt Brecht. Tagebuch eines Schriftstellers

13. Juli 1945: Dasselbe Haus, dasselbe Zimmer, dasselbe Bett. Jeden Tag. Es ist ermüdend. Erschöpfend. Es macht mich krank. Die Welt macht mich krank. Das Leben ist wertlos. Das Schreiben bringt keinen Erfolg. Die Amis wissen meine Werke nicht zu schätzen. Ignoranten. Aber auch ich muss verkaufen, verdienen. Berühmt, bekannt, angesehen, ein Meister meines Faches! Doch in diesem Kapitalistenstaat habe ich keine Chancen, hier habe ich alles verloren!

15. Juli 1945: Diese Amerikaner, nichts können sie wertschätzen, nicht mal meine Werke! In der Heimat wurden sie geliebt! Dafür können sie umso mehr protzen und mit ihren Autos, Uhren und Frauen angeben! Sie brüsten sich mit Liebschaften, mit klapprigen Mühlen brausen sie umher, und nicht einmal gut deutsches Bier gibt es hier! Importieren muss ich es. Der Preis dafür ist unaussprechbar doch ein Schluck Heimat, das muss einfach sein!

11. August 1945: Frechheit! Heute habe ich erfahren dass eine 5. Klasse voll von stümperhaften Amateuren mein neues Stück aufführen möchte! Für so etwas habe ich mich doch nicht die Mühe des Schreibens gemacht! Nun gut, ich hoffe, dadurch erreiche ich mehr Resonanz bei diesem dummen amerikanischem Publikum! Heute hatte ich erste Erfolgserlebnisse: Mein neuestes Werk hat sich seit dem Erscheinen im städtischen Buchladen relativ gut verkauft! Das bedeutet dass ich durch dieses Geld endlich etwas gegen diese boshaften Mücken tun kann: Ich werde in die Stadt gehen und Mücken-Netze besorgen!

5. September 1945: Na, da hab ich mich wohl ordentlich getäuscht. Die  Amerikaner wissen wohl doch meine Werke zu schätzen! Heute habe ich einen Brief von meinem Verlag bekommen, in dem mir mitgeteilt wurde, dass ich der beste ausländische Autor jemals in meinem Verlag  sei und dass sie mir jetzt bereits über 250.000 Verkäufe verdanken konnten! Aber das Beste ist, dass mir deshalb eine Prämie von knapp 1000 $ zusteht! Nun erkennt man meinen wahren Wert überall! Der beste deutsche Autor jemals wird auch den Markt in Amerika übernehmen!

von Adam Rebai