Ulrich Becher: Feuerwasser, Manuskript, 1952
Ulrich Becher: Feuerwasser, Manuskript, 1952
Siehste, für die Nazis war ich ’n Judenknecht. Die bekoweten Juden witterten en Nazi in mir. Für die Geldfritzen bin ich ’n Roter. Die Katholiken verdächtjen mich, daß ich den Vatikan anzünden will. Für die Kommunisten bin ich ’n deklassiertes Element, bestenfalls ein kleinbürgerlicher Anarchist mit antifaschistischen Neigungen. Am meisten Vertrauen bringen mir noch die kleinen Pferdediebe wie Taxi entgegen mit ihrer Maxime „Stehlen und stehlen lassen“.
Auszug aus Ulrich Bechers Theaterstück Feuerwasser, 1952/1957
Ulrich Bechers im New Yorker Exil 1945 begonnener Novellenband Nachtigall will zum Vater fliegen. Ein Zyklus in vier Nächten (1950) war ursprünglich auf fünf, womöglich sogar sechs „Nächte“ bzw. Novellen angelegt, wie verschiedene im Nachlass erhaltene Kapitelaufstellungen und frühe Textstufen nahelegen. Als fünfte Nacht war offenbar zunächst der Text „Feuerwasser“ vorgesehen, wie dem hier ausgestellten, handschriftlich stark bearbeiteten Typoskript zu entnehmen ist.
Die im Emigrantenstadtteil Yorkville des Jahres 1946 angesiedelte ‚Schenkengeschichte‘ handelt vom rheinländischen Barmann Charlie Brown, der die Taverne „Zum fröhlichen Elchskopf“ führt, in der Kleinkriminelle, Altnazis, versoffene Priester und andere Tagediebe verkehren und dem Feuerwasser zusprechen. Im Zentrum des Stücks steht die epochale Auseinandersetzung des vom Giftgas des Ersten Weltkriegs fürs Leben gezeichneten, lungenkranken und menschenfreundlichen Außenseiters Charlie Brown mit dem Zeitalter der Inhumanität, verkörpert durch den gewalttätigen Kriminellen Sepp O’Brian, genannt „Der Hund“, über den Brown schließlich Gericht hält.
Bechers 1952 in Göttingen uraufgeführtes Drama knüpft damit nicht nur hinsichtlich des Settings, sondern auch thematisch unmittelbar an die New Yorker Novellen an. Während die im Typoskript noch angelegte Perspektive des Ich-Erzählers im Zuge des Gattungstransfers in der Figurenrede aufging, verweist besonders der ausführliche Nebentext eingangs des Dramas auf die ursprüngliche Konzeption als Novelle.