Sonderausstellung: Ulrich Becher

Ulrich Becher: Das Märchen vom Räuber, der Schutzmann wurde. Eine Moritat, 1943

Titelblatt: Ulrich Becher, Das Märchen vom Räuber, der Schutzmann wurde
Das Märchen vom Räuber, der Schutzmann wurde. Text mit Illustrationen von Ulrich Becher, 1943
Schweizerisches Literaturarchiv SLA, Schweizerische Nationalbibliothek, Nachlass Ulrich Becher, © Martin Roda Becher
Sonderausstellung: Ulrich Becher

Ulrich Becher: Das Märchen vom Räuber, der Schutzmann wurde. Eine Moritat, 1943

Das erste und einzige Heft der Notbücherei deutscher Antifaschisten

Bis zum Kriegsbeginn erschien in Brasilien (wo zwei Millionen Deutsche leben) kein einziges antinazistisches deutsches Buch, aber eine Fülle von Nazibroschüren. Beim Eintritt Brasiliens in den Krieg wurden sämtliche deutschsprachige Publikationen verboten, so daß uns nichts übrigblieb, als das Manuskript zu vervielfältigen und unter der Hand zu verbreiten. Die „Notbücherei“ wurde 1942 von Willy Keller gegründet, der 1935 von Osnabrück nach Brasilien emigriert war. […] Die Hefte wurden in Rio, São Paulo, Porto Alegre, aber auch bei den deutschen Urwaldbauern Paranás usw. vertrieben. Überall gab es im Meer der Nazisierten kleine Inselzellen fortschrittlicher Arbeiter und Bauern, die zusammenhielten, obwohl sie einen sehr schweren Stand hatten.

Ulrich Becher in einem Brief an Franz Carl Weiskopf, 1943


Wie Ulrich Becher in seinem Brief an den im New Yorker Exil lebenden Autor Franz Carl Weiskopf attestiert, waren die Publikationsmöglichkeiten für emigrierte Schriftsteller und Künstler in Brasilien sehr begrenzt. Während es in Mexiko und Argentinien zur Gründung deutscher Verlage und Zeitungen kam, wurde in Brasilien unter dem Präsidenten Getulio Vargas mit dem Kriegseintritt 1941 ein generelles Verbot der deutschen Sprache in der Öffentlichkeit erlassen, das auch die Unterbindung sämtlicher deutschsprachiger Verlags- und Publikationstätigkeit beinhaltete. Folglich handelt es sich bei der Notbücherei deutscher Antifaschisten, in deren erstem und einzigem Heft 1943 Bechers in Brasilien verfasste Moritat Das Märchen vom Räuber, der Schutzmann wurde erschien, um eine inoffizielle Vervielfältigung des Textes, der anschließend unter der Hand verkauft und verbreitet wurde. Zusätzlich meldeten Becher und Keller die Publikation bei dem brasilianischen Unterrichtsministerium mit dem Vermerk „verfaßt in Schweizer Sprache“, wie dem zeitnah entstandenen feuilletonistischen Text Ein kleiner Dreh (1953, Basler National-Zeitung) und dem Nachwort der 1968 erschienenen Spiele der Zeit 2 zu entnehmen ist.

In seiner Moritat, einer Schauerballade im wahrsten Sinne des Wortes, verweist sie doch auf die politischen Verbrechen in Deutschland, geht Becher in Form einer eigenwilligen Lyrik und einer, geistvollen Satire scharf mit dem NS-Regime ins Gericht. Sein beißender Spott gilt dabei vor allem Adolf Hitler, den er, wie an den zahlreichen Karikaturen, die den Band zieren, kenntlich wird, anhand der Figur des primitiven „Räuber Braun“ diffamiert. Die Räuber-Moritat bildet Bechers Beitrag zum Genre der antifaschistischen Hitler-Satire. Es ist Zeugnis seiner künstlerischen Doppelbegabung und erinnert (in Wort) an Brechts Hitler-Choräle oder (in Bild) an John Heartfields Fotomontagen.

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