Der letzte Preusse, um 1974
Der letzte Preusse, um 1974
Während des Kalten Krieges wurde im Zuge des von SPD-Minister Egon Bahr formulierten „Wandel durch Annäherung“ 1972 der sogenannte Grundlagenvertrag unterzeichnet, der die DDR als souveränen Staat anerkannte und als Teil einer neuen Ostpolitik der Regierung Brandt verbesserte Beziehungen zwischen den Staaten ermöglichte. Von Beginn an war der Vertrag jedoch umstritten. Die CDU/CSU sah darin die Verhinderung einer möglichen Wiedervereinigung Deutschlands, wollte diese Option jedoch in jedem Fall offenhalten. Daher reichte der Vorsitzende der CSU, Franz Josef Strauß, 1973 Klage gegen den Vertrag ein. Dieser wurde ein Jahr später stattgegeben.
In Olschwangers Karikatur hisst jener Strauß eine preußische Flagge. Er ist zentral zwischen den Wahrzeichen des geteilten Berlins positioniert. Links verweist das Brandenburger Tor auf Ost-Berlin, rechts die Gedächtniskirche auf den Westen. Olschwanger zeichnet den massigen CSU-Vorsitzenden in bayerischer Tracht, wie er den Grundlagenvertrag zwischen den beiden deutschen Staaten mit seinen Füßen in den Boden stampft. In seiner Miene kommt eine kompromisslose Entschlossenheit zum Ausdruck. Der Titel der Karikatur zitiert einen Satz von Strauß vom 9. Januar 1974: „Wir Bayern müssen bereit sein, wenn die Geschichte es erfordert, notfalls die letzten Preußen zu werden.“ Angesichts der historischen Rivalität zwischen Bayern und Preußen war das eine durchaus bemerkenswerte Aussage des bayerischen Ministerpräsidenten, der damit auf die zentrale Rolle Preußens bei der nationalen Vereinigung der deutschen Staaten im 19. Jahrhundert anspielte. Die gegen zahlreiche Widerstände durchgesetzte Klage gegen das Vertragswerk sorgte dafür, dass die Möglichkeit einer Wiedervereinigung juristisch bestehen blieb. Den weiterhin misstrauischen Olschwanger mussten derlei Gedanken zu einem wiedervereinigten Deutschland an die nationalistischen Großmachtfantasien der Vergangenheit gemahnen. Sieht man genau hin, scheint sich dieser Gedanke zu bestätigen, denn in der zeichnerischen Ausführung des doppelten „S“ im Wort „Preusse“ kann man auch eine Andeutung der SS-Runen erkennen.