Arbeits- und Produktionsbedingungen im Exil
Arbeits- und Produktionsbedingungen im Exil
Das waren die Emigranten: der Prokurist aus Bielefeld, der dachte, er hätte Aussichten auf eine Stellung in einem großen Warenhaus. Da war der bekannte Rechtsanwalt aus Berlin, der träumte von einem Angebot eines Konzerns. Den berühmten Herzspezialisten erwartete eine umfangreiche Praxis. Der Schriftsteller glaubte einen Kontrakt in der Tasche zu haben, der ihm die Aufführung seines Stückes auf dem Broadway sicherte. Da war der große Schauspieler, dem die Karriere in Hollywood winkte.
Aber es kam anders, ganz anders.
Alice Herdan-Zuckmayer, Die Farm in den grünen Bergen, 1949
Häufig sind es die Namen erfolgreicher Künstler, die das Bild des Exil-Künstlers prägen.
Doch dieses Bild ist ein trügerisches, denn die Hürde, im Exil überhaupt als Künstler wahrgenommen zu werden, ist groß. Viele bleiben unbeachtet.
Vor allem für Künstler stellt sich die Frage nach Produktionsbedingungen im Exil ganz neu: Kunstschaffende sind abhängig von einem Kunstmarkt, von Publikum und Publikumsgeschmack. Sie benötigen Förderer und Vermittler wie Galeristen und Verleger oder Engagements an Konzert- oder Schauspielhäusern. Der Weg ins Exil bedeutete in vielen Fällen, ein neues Publikum finden zu müssen, in der Sprache des Aufnahmelandes zu schreiben und sich den Marktbedingungen der Aufnahmegesellschaft anzupassen. Zugang zum Kunstbetrieb der Aufnahmeländer zu finden, ist schwer, weil die Vermarktungsmöglichkeiten von Kunst von vielen Faktoren abhängen. Schon die Bewertung künstlerischer Qualität kann sich von Land zu Land unterscheiden und eine positive Kritik ist keinesfalls ein Garant für ökonomischen Erfolg oder kulturelle Anerkennung. Die Kombination von Herkunfts- und Aufnahmeland, die Frage nach einer gemeinsamen kulturellen Tradition ist in diesem Zusammenhang von Bedeutung.
Darüber hinaus stehen die Künstler vor dem Problem beziehungsweise der Herausforderung, Zugang zum Kunstbetrieb des Aufnahmelandes zu erhalten. Dabei spielen viele Aspekte eine Rolle, die zunächst einmal nichts mit den künstlerischen Qualitäten zu tun haben: die Fähigkeit, sich gewissen Gepflogenheiten und einer gemeinsamen Sprache anzupassen, Zugang zu wichtigen Orten zu haben und über die entsprechenden Kontakte zu verfügen.
In den seltensten Fällen ist es Künstlern möglich, ihre Arbeit bruchlos fortzusetzen – sie sind dann darauf angewiesen, die künstlerische Selbständigkeit hinter reine Auftragsarbeiten zu stellen. Für das Exil zwischen 1933-1945 aus dem nationalsozialistischen Machtbereich gibt es zahlreiche Beispiele: Ein politischer Grafiker betätigte sich beispielsweise als Buchgestalter für Reisebücher, kritische Literaten schrieben Drehbücher für Hollywoodfilme, jüdische Schauspieler spielten Nationalsozialisten in amerikanischen Anti-Nazifilmen. Zusätzlich waren Netzwerke und gegenseitige Unterstützung in Exilantenkreisen von Bedeutung für die Fortsetzung der künstlerischen Tätigkeit. Mit der Gründung von Verlagen und Publikationsorganen sowie kulturellen Zusammenschlüssen schufen die Exilierten auch selbst Strukturen, die einer Vereinzelung entgegenwirkten und ihnen in den Aufnahmeländern Arbeitschancen und Aufmerksamkeit verschaffen sollten. Aber auch der komplette Abbruch der künstlerischen Tätigkeit kann Folge des Exils sein und es gibt viele Gründe, die dazu führen. Wenn Künstler zum Beispiel keinen Zugang zum Kulturbetrieb des Exillandes finden, sind sie gezwungen, einen Brotberuf zu ergreifen, um wirtschaftlich zu überleben.
Die Bedeutung von Exil und Migration für den künstlerischen Prozess wirft auch mit Blick auf zeitgenössische exilierte Künstler wichtige Fragen auf, zum Beispiel die nach der Durchlässigkeit des Kulturbetriebs im Aufnahmeland.