Max Beckmann: Illustrationen zu Goethes „Faust“, II. Teil, Zeichnungen (1943 / 1944)
Max Beckmann: Illustrationen zu Goethes „Faust“, II. Teil, Zeichnungen (1943 / 1944)
Eines der bedeutendsten Werke, das Max Beckmann in den Jahren der Emigration geschaffen hat, ist kein Gemälde, sondern das sind die Zeichnungen zu Goethes Faust zweitem Teil. 1943 und 1944 sind sie als 143 Federzeichnungen teils in Tinte, teils in Tusche über Bleistift entstanden. Auftraggeber ist wie bei der Apokalypse Georg Hartmann in Frankfurt gewesen. Eine Veröffentlichung der endgültigen Zeichnungen zusammen mit dem Text ist zu Lebzeiten des Auftraggebers, auch des Künstlers nicht zustande gekommen.
Beckmanns Sammlerin und Freundin Lilly von Schnitzler hatte vorgeschlagen, die Schrecken des Krieges darzustellen, doch Beckmann lehnte das ab: „Wenn diese Dinge passieren, ist es schon schlimm genug. Wenn ich sie mir in Einzelheiten vorstellen muß, um sie machen zu können, werde ich verrückt.“ Und an anderer Stelle: „denn Tag und Nacht verfolgen mich, angestoßen von einem surrenden Flieger, einer Nachricht über eine Verhaftung, eine Verschleppung, Phantasien dieser Art, sie würden mich überwältigen, versuchte ich ihnen mit dem Stift auf den Leib zu rücken.“ Georg Hartmann hatte „Traumgesichte“ vorgeschlagen, aber mit Zitaten offenbar die Entscheidung vorweggenommen.: „Ungehemmt durch Literatur und Konvention könnten Sie in die Tiefe tauchen - „Versinke denn! Ich könnt auch sagen, steige!“ sagt Mephistopheles […]
Max Beckmann hat sich meistens eng an den Text gehalten, hat aber auch mehrere Stellen einem Bild zugrunde gelegt und hat die ganze Folge, teilweise vom Text abweichend, mit persönlichen Erlebnissen durchzogen. Immer wieder taucht er selbst auf, als Faust oder Mephisto. Die Regionen erstreckten sich von der Antike bis zur Gegenwart, von der Wirklichkeit in den Traum und Phantasien hinein; Alltägliches wechselt mit bedeutenden Ereignissen, Historisches mit Allegorischem, Diesseitiges mit Jenseitigem, Landschaften mit Stilleben.
Die Auffassung des Künstlers vom Leben als Theater, das in Goethes Schauspiel auf dem Theater seine Entsprechung hat, ist besonders eindrucksvoll im letzten Bild zum dritten Akt gestaltet, wo der ‚Schauspieler’ Mephisto die Maske der Phorkyas abnimmt, während sich im Hintergrund eine Theaterszene abspielt.
Mehrere Blätter beziehen sich offenkundig auf das Geschehen der eigenen Zeit, auf Krieg und Judenverfolgung sowie auf den ganz persönlichen Zustand im Alter (Faust im Gespräch mit der Sorge). Die Sirenen mit ihren ausgebreiteten Flügeln, unter sich brennende Häuser, erinnern an die Flugzeuge, von denen Beckmann im Tagebuch immer wieder berichtet, seien es „ewig die Briten sur la tète“ (25. Juli 1942), seien es die Angriffe auf Rotterdam oder deutsche Städte („Gestern wieder Berlin!!“ 29. Januar 1944). Bei dem toten Paar von Philemon und Baucis im Eingang eines brennenden Hauses denkt man an die Tagebucheintragungen „Nacht’s über Mitternacht J.[uden]transport“ (21. Juli 1942), „Nachmittags durch verödete Judenstraßen[…]“ (29. Mai 1943).
Eines der Blätter ist den Versen des Chores über den Untergang Troias gewidmet. Max Beckmann hat drei solcher Gestalten in Rüstung gegeben, zwei über die volle Höhe des Blattes, um ihre Füße Feuer und Rauch brennender Häuser. Offensichtlich hat er auch diese Zeichnung im Bewusstsein vom Kriegsgeschehen seiner Tage geschaffen und trotzdem den mythischen Gehalt bewahrt. Das war möglich, weil ihm auch die großen Ereignisse der eigenen Zeit wie der Krieg nicht bloß Folgen der Politik waren, sondern letztlich durch unbekannte Mächte, durch „Götter" bewirkt schienen.
Die erwähnten Darstellungen beschränken sich nicht auf die Darstellungen der eigenen Zeit. Die Blätter, die den ermordeten Alten, dem Dialog zwischen Euphorion und dem Chor, auch den Versen des Chores über den Untergang Troias gewidmet sind, haben für alle Zeiten ihren Sinn.
Weiterführende Literatur:
Lenz, Christian: Schön und schrecklich wie das Leben. Die Kunst Max Beckmanns 1937 bis 1945. In: Max Beckmann. Exil in Amsterdam. Ausstellungskatalog. Amsterdam / München: Hatje Canz 2007/2008, S. 33-107