Max Beckmann: Karneval, Gemälde (1942 - 1943)
Max Beckmann: Karneval, Gemälde (1942 - 1943)
1942 und 1943 hat Max Beckmann im Amsterdamer Exil ein weiteres seiner Triptychen geschaffen: „Karneval“, in seiner Bilderliste auch „Carnavale in Amsterdam“, im Tagebuch zuerst „Adam und Eva“ genannt. Der zweite Titel findet sich in Beschriftungen des mittleren und linken Bildes. So ist ein engerer Bezug zu der Stadt gegeben, allerdings in dem Sinne, dass dieser „Karneval“ als künstlerische Vorstellung hier entstanden ist und nicht wirklich in Amsterdam ablief. Karneval bedeutet auch für Beckmann etwas Ähnliches wie Theater oder Zirkus, ein Bereich der Kostümierung und Maskierung, des Scheines, der dem Künstler sinnbildlich für das Leben steht.
Hauptfiguren sind drei Paare und jedes Bild wird in hohem Maße von den Varianten einer Farbe bestimmt: das linke von Blau, das rechte von Rot und das mittlere von Grün. Links sind zwei junge Menschen dargestellt, eine blonde Flötenspielerin in Gelb, ihr zur Seite ein Schwarzhaariger in violettem Trikot, mit einem Schwert in der Hand und zwischen beiden der große Kopf einer jugendlichen männlichen Büste. Es könnte sich um eine Verführungsszene handeln. Die Verführung scheint zu gelingen, der Sündenfall sich zu vollziehen. So wäre denn in der Büste die Gottheit zu sehen, groß, dunkel, fremd, wissend und wohl auch sprechend.
Solche Deutung des linken Bildes würde gestützt durch das rechte, denn hier ist ganz ohne Zweifel die Vertreibung aus dem Paradies dargestellt. Darauf deutet der Name des Hotels [ED]EN hin, der sich vollständig noch einmal auf der Mütze des Boys findet. Zudem hat man in der fremden Gestalt, die in dem langen spitzen Kopf zwar dem des ägyptischen Gottes Seth ähnelt, mit Gefieder und Schwert aber den Cherubin des Alten Testamentes bedeutet, die nach dem Sündenfall das Paradies bewachen und von denen einer hier die beiden vertreibt. Ein großes Hotel Namens Eden gab es in Berlin, und Max Beckmann verkehrte dort über viele Jahre. Nun steht der Name des Hotels für Berlin, für ein früheres Paradies, sodass die Vertreibung den Gang ins Exil bedeutet. Mit ernster, schmerzlicher Miene tritt das Paar im Triptychon diesen Gang an, die Frau auf dem Rücken des Mannes. Es handelt sich also um eine Selbstdarstellung, auch wenn der Mann nicht die Züge des Künstlers trägt.
Ihn erkennt man aber im Pierrot des mittleren Bildes. Mit weißem Trikot, bleichem Gesicht und schwarzen, unergründlichen Augenhöhlen ist er der Tod, der eine junge Frau im Arm hält: der Tod und das Mädchen, ein bekanntes Thema, das besonders in der altdeutschen Kunst verbreitet ist. Max Beckmann hat in diesem Paar die Polarität dargestellt, hat sie im schmalen Format, im engen Raum verdichtet und zum Kern des Triptychons insgesamt gemacht. In Analogie zur biblischen Erzählung ist hier das Stadium nach der Vertreibung aus dem Paradies dargestellt: Die Menschen sind nicht mehr unsterblich, sondern dem Tode verfallen. Wir sehen aber auch in Mann und Frau Verkörperungen von Tod und Leben und sehen damit die große Polarität, die überhaupt alles bestimmt, im Triptychon also auch das Geschehen auf den Seitenbildern.
Die gelbe Tute am Boden ist beschriftet DA ORIENT[E] SUMAT [LUX], also mit der bekannten Formel, die in anderer Version lautet EX ORIENTE LUX, aus dem Osten kommt das Licht. Hat Max Beckmann diese Formel, die in Verbindung mit der Geburt Christi benutzt wurde, auf das Geschehen seiner Tage bezogen? Ende Januar 1943, als die Arbeit am Triptychon noch lange nicht fertig war, hatte die deutsche Wehrmacht bei Stalingrad ihre schwere Niederlage erlitten, und diese wurde von vielen als Wende des Krieges verstanden. Möglicherweise hat der Künstler die Formel der Hoffnung nach diesem Ereignis eingefügt. Dass er das Kriegsgeschehen auch in Russland verfolgte, belegen etliche Tagebucheintragungen. So heißt es etwa unter dem 30. Juni 1942: „Neue Kämpfe in Rußland“ oder am 10. Juli: „Riesenkämpfe in Russland“, am 2. Juli 1943: „Sebastopol gefallen“ und am 6. Juli: „In Russland wieder Kämpfe“.
Weiterführende Literatur:
Lenz, Christian: Schön und schrecklich wie das Leben. Die Kunst Max Beckmanns 1937 bis 1945. In: Max Beckmann. Exil in Amsterdam. Ausstellungskatalog. Amsterdam / München: Hatje Canz 2007/2008, S. 33-107