Sonderausstellung: Max Beckmann

Max Beckmanns Tagebücher

Tagebuch: Max Beckmann, Sept. 1940
Doppelseite aus dem Tagebuch Max Beckmanns vom September 1940
Bayerische Staatsgemäldesammlungen, Fotoabteilung, Privatbesitz © Max Beckmann Archiv, München
Sonderausstellung: Max Beckmann

Max Beckmanns Tagebücher

Weltabgewandt ist Max Beckmann trotz seiner philosophischen und religiösen Interessen keineswegs gewesen, und so hat er denn auch das Kriegsgeschehen in der Nähe wie in der Ferne und kleine wie große Nöte des Alltags im Tagebuch notiert, Streiks der Amsterdamer Betriebe, Besuche der wenigen Bekannten und Freunde, Essen und Trinken, zumal in den Bars, Spaziergänge und Stimmungen, die zwischen entschlossenem Lebenswillen und tiefer Depression schwankten. Politische Fragen werden im Tagebuch fast gar nicht berührt, nur sehr allgemein, verschlüsselt oder als Stichworte. Das war nicht nur, aber auch eine Vorsichtsmaßnahme nach der Besetzung der Niederlande durch die Deutschen. Beckmann hatte bei dieser Gelegenheit seine früheren Tagebücher verbrannt.

So lesen wir etwa: „Berlin – Rom – Tokyo“ (27. 9. 1940), „Krieg mit Rußland!!“ (22. 6. 1941), „Krieg Japan – Amerika!! – Die Flieger steigen –“  (8. 12. 1941), „Deutschland erklärt Amerika Krieg“ (11. 12. 1941), „Großer Luftalarm, hörten 1000 Flieger nach Cologne fliegen. In der Nähe ging Bombe runter.“ (23. 5. 1942), „Nachmittag mit Q.[appi] zu Fuß nach Butter-bon und Kohlen – vergeblich.“ (1. 6. 1943), „Sah die Engländer (Flieger) vom Meer kommen in Riesenstreifen wie die gesträubten Haare des Zeus Jupiter. – Hörte Frankfurt alles kaputt. Traurig …“ (12. 4. 1944)

Immer wieder reflektiert er auch seine Situation, siehe das vorangestellte Zitat, aber auch: „Am Tage wollte ich mal wieder sterben vor Schwäche und Melancholie. (31. 3. 1943), „Viel Sorge und nerveux für 1944. Dunkel ist das Leben – ist der Tod. Schluß 1943.“ (31. 12. 1943) Und doch: „Selbst eigene Cadaver-Knochen sollen uns nicht hindern, bis zum letzten Moment unseren Mann zu stehen, stolz und müde gegenüber der schwarzen Wand, die um uns gezogen.“ (10. 10. 1943)

Endlich kam der Tag der Befreiung und mit ihm das Ende des Krieges auch für Max und Quappi Beckmann: „Um 10 Uhr erschien hier bei Lütjens ein holländisch meisje: ! FRIEDE !“, so im Tagebuch unter dem 4. Mai 1945, aber am 5. Mai heißt es: „Na – noch nicht ganz – grüne Polizei [die Deutschen] fährt noch mit Maschinen-Gewehr herum, etc. Trotzdem große Friedensfeier mit Warnung von Eisenhower. – In der Stadt herumgelaufen, viel Besoffenheit.“ Die weiter bestehende Sorge um das tägliche Leben – „Kohlen, Kohlen, Kohlen!!! Alles liegt an der Kohlennot.“ (21. Mai) – verband sich aber nun mit der Sorge um die nötigen niederländischen Papiere, um nicht als feindlicher Ausländer zu gelten und nach Deutschland abgeschoben zu werden. Erst im August 1946 werden diese Papiere ausgestellt. So ist denn im Frühjahr 1947 auch wieder eine Auslandsreise möglich gewesen, über Paris nach Nizza, und am 29. August ging es nach New York, dann weiter nach Saint Louis, wo ein Lehrauftrag anzunehmen war. 

Blickt man auf die niederländischen Emigranten-Jahre Max Beckmanns zurück, so erweist sich diese Zeit durchaus als eigene Epoche. Es war im Leben Beckmanns eine Epoche zunehmender Not – von der Diffamierung durch die Nationalsozialisten als „entarteter“ Künstler über die Emigration, den Kriegsbeginn, die Verweigerung des Visums für Amerika, die Besetzung der Niederlande, drohende Einberufungen zum Militärdienst, die reduzierten Verkäufe und völlig versiegten Ausstellungsmöglichkeiten bis zu den Schwierigkeiten, als Angehöriger der Besatzungsmacht im besetzten Lande zu leben und nach dem Kriege nicht ausgewiesen zu werden. Diese zunehmende Not hat in Verbindung mit Alter und Krankheit bei dem Maler zu starken Depressionen geführt. Gegen seine Ängste und Zweifel hat ihm aber hin und wieder ein Gedanke geholfen, der sich abgewandelt auch in seinem Werk bemerkbar macht: „Wenn man dies alles – den ganzen Krieg oder auch das ganze Leben nur als eine Scene im Teater [unterstrichen] der ›Unendlichkeit‹ [unterstrichen] auffasst, ist vieles leichter zu ertragen –“ (12. September 1940)

 

Weiterführende Literatur:
Max Beckmann: Tagebücher 1940 - 1950. Zusammengestellt von Mathilde Q. Beckmann. Herausgegeben von Erhard Göpel (München 1955). München und Wien: Piper 1979
Göpel, Erhard: Max Beckmann in seinen späten Jahren. München: Langen Müller 1955

 

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