Ludwig Meidner, Hinweis auf mich selbst, 1944 [?]
Ludwig Meidner, Hinweis auf mich selbst, 1944 [?]
Im Verlauf dieses Jahres hatte ich meinen sechzigsten Geburtstag. Aus diesem äusseren Anlass sei es mir gestattet, einige Zeilen über mich und mein Werk zu schreiben, da es vermutlich kein anderer tun wird.
Ludwig Meidner, Hinweis auf mich selbst, 1944 [?]
Im schriftlichen Nachlass Ludwig Meidners befindet sich das Fragment eines Zeitungsartikels mit dem Titel "Hinweis auf mich selbst", in dem Meidner anlässlich seines 60. Geburtstages auf sich aufmerksam macht. Der Zeitungsausschnitt ist mit einem handschriftlichen Vermerk versehen, der als Quelle auf die deutschsprachige Emigrantenzeitung "Aufbau" vom 28. September 1945 verweist. Allerdings ist dieser Verweis unzutreffend, so dass bislang noch nicht geklärt werden konnte, wo der Artikel tatsächlich erschien. Meidner begründet seine schwierige künstlerische Situation durch seine Konzentration auf jüdische-religiöse Themen, die auf dem Kunstmarkt wenig gefragt sind, und durch seinen Mangel an Beziehungen:
"Vor zehn Jahren noch hatte ich zusammen mit Spiro eine Ausstellung im Jüdischen Museum in Berlin. Diesmal war derartiges nicht möglich, da ich hier einer Westend-Gallerie nicht zumuten kann, meine Arbeiten, die alle vom Judentum aussagen, öffentlich zu zeigen. Ich gehöre einer Generation an, die noch echte Freude an dem "Thema" hatte. Ich bin kein reiner Formalist, sondern das Thema ist mir ebenso wichtig wie die Formung. Ich bin ein Darsteller unseres jüdischen religiösen Lebens geworden, ein Thema, das schon von vielen anderen jüdischen Malern behandelt worden ist. Allerdings gehe ich an diese Themen nicht aus rein ästhetischem oder folkloristischem Interesse, sondern mich fesselt vor allem der Geist unserer Religion und seine Aeusserungen im Brauchtum, im Ritual, in seiner edlen Gebärde. Da ich selbst orthodoxer Jude bin, gelingt es mir, meine Motive aus ihrem Wesen heraus zu verstehen und darzustellen, und ich habe auf diesem Gebiet viele reife und schöne Arbeiten hervorgebracht, übrigens nur um ihrer selbst willen, aus Freude an der Sache, denn verkaufen kann ich diese Bilder nicht.
Aber auch als Portraitist brauche ich mich nicht zu verstecken. Ich verstehe jetzt dieses Handwerk — denn alle Kunst ist zuerst Handwerk — und habe gelernt, wie man einen Menschen durchschaut und packend und lebendig auf die Leinwand bringt. Doch da ich hier keine Beziehungen und Empfehlungen habe, niemandem nachlaufe und ganz unbekannt blieb, so läuft auch mir keiner nach und ich portraitiere wie in Berlin 'only for my pleasure'." (Ludwig Meidner, Hinweis auf mich selbst, 1944 [?])
Weiterführende Literatur:
Horcher in die Zeit. Ludwig Meidner im Exil (Ausstellungskatalog Museum Giersch der Goethe-Universität, Frankfurt am Main), München 2016.