Ludwig Meidner, Porträt des Schauspielers Leo Bieber aus einem Skizzenbuch, 1939/40
Ludwig Meidner, Porträt des Schauspielers Leo Bieber aus einem Skizzenbuch, 1939/40
Da ich nun schöne grosse Skizzenbücher in Besitz habe, arbeite ich sehr viel und äusserst glücklich.
Ludwig Meidner, Brief an Hilde und Walter Rosenbaum vom 20. August 1940, Institut Mathildenhöhe, Städtische Kunstsammlung Darmstadt, aufbewahrt im Stadtarchiv Darmstadt, ST 45 Meidner 1175.
Während seiner anderthalbjährigen Internierungszeit zeichnete Meidner unentwegt. Er füllte insgesamt 13 Skizzenbücher mit Landschaftsstudien, vor allem aber mit Porträts seiner Schicksalsgenossen. Dabei eignete sich Meidner, der zuvor am liebsten mit weitausholendem Gestus in Kohle oder Kreide auf großen Papierbögen gezeichnet hatte, eine neue, kleinteiligere und subtilere, beinahe altmeisterliche, Zeichentechnik an: "Ich [...] habe hier ausschliesslich mit Bleistift gezeichnet u. dergestalt, dass ich jetzt erst die grossen künstlerischen Möglichkeiten dieses so malerisch zu handhabenden Materials erkannt u. praktiziert habe." (Ludwig Meidner, Brief an Hilde Rosenbaum vom 9. Februar 1941, Institut Mathildenhöhe, Städtische Kunstsammlung Darmstadt, aufbewahrt im Stadtarchiv Darmstadt, ST 45 Meidner 1067)
Das vor liegende Porträt zeigt den Bühnen- und Filmschauspieler Leo Bieber. Er emigrierte zunächst in die Sowjetunion, wurde aber 1937 nach Prag ausgewiesen und ging dann ins Exil nach England, wo er unter anderem in einem Londoner Emigrantenkabarett auftrat. Er spielte nach dem Krieg Nebenrollen in zahlreichen Filmen, beispielsweise in "Der dritte Mann" (1949) oder dem deutschen Antikriegsfilm "Der Transport" (1961), stand aber auch bei Theaterproduktionen in England und Deutschland auf der Bühne.
Ein Tagebucheintrag Meidners vom August 1947 berichtet von einem zufälligen Wiedersehen mit Bieber in London: "Sonntag war der schönste Hochsommertag, den man sich denken kann. Als ich an einem Abhang sass u. zeichnete, begrüsste mich der Schauspieler Leo Bieber (u. seine Frau oder Freundin) mit dem ich vor sieben Jahren interniert war. Sie wollen uns besuchen." Ob der Besuch zustande kam ist unbekannt. (Ludwig Meidner, Eintrag vom 6. August 1947 in: Tagebuch 1947-52, Institut Mathildenhöhe, Städtische Kunstsammlung Darmstadt, aufbewahrt im Stadtarchiv Darmstadt, ST 45 Meidner 1926)
Weiterführende Literatur:
Presler, Gerd/Riedel, Erik, Ludwig Meidner. Werkverzeichnis der Skizzenbücher / Catalogue Raisonné of His Sketchbooks, München 2013.