Ludwig Meidner, Lithografie nach einer Zeichnung von 1918
Ludwig Meidner, Lithografie nach einer Zeichnung von 1918
"Ich wanderte auf des Ewigen feurigem Pfad, bis mich die Gnade eitel und hochmütig machte. Laut brüstete ich mich vor den Leuten mit jenem seltenen Wein und benasrümpfte die Erdschweren und Höhlenbären. So in Hoffart und Hohn ich verblendet, wandte sich die Gnade von mir weg und ließ mich wieder allein. Stieß mich in alte, längst vergessene Pein und Ruhelosigkeit. Mich übermannte wieder der Marder Verstand und Herzens harfende Stimme schwieg jäh still."
aus: Ludwig Meidner, "In den weißen Windhimmel lauf’ ich hinein", in: Septemberschrei. Hymnen Gebete Lästerungen, Berlin 1920
Bei Meidners Annäherung an die Religion in der zweiten Hälfte der 1910er Jahre folgen auf Tage frommer Ergriffenheit und heiterer Zuversicht wieder Tage des Zweifelns und der Niedergeschlagenheit. Meidners Suche nach religiöser Orientierung vollzieht sich nicht nur in der Auseinandersetzung mit theologischen Schriften, auch von Texten christlicher Autoren wie Augustinus oder Thomas von Kempen, sondern vielmehr auf einer emotionalen Ebene. Meidner sucht weniger eine intellektuelle Annäherung an theologische Positionen als vielmehr das intensive innere Glaubenserlebnis, was sich auch in den bewegten Figuren seiner religiösen Darstellungen manifestiert.
1918 nimmt Meidner an der Ausstellung "Neue religiöse Kunst" teil, die in der Mannheimer Kunsthalle und später auch in Dresden gezeigt wird. Gustav F. Hartlaub, der Kurator dieser Ausstellung, beschreibt die wilde Intensität der Figurendarstellungen Meidners, bei denen "die ekstatisch hingewühlten Hyperbeln seines Pinsels die derwischhaften Sehergestalten oft bis zur Unkenntlichkeit verzerrt, verkrümmt, ja, völlig zusammengeschlagen haben." (Gustav F. Hartlaub, Kunst und Religion, Leipzig 1919, S. 94, aus: Ludwig Meidner, "Aschaffenburger Tagebuch", in: Septemberschrei. Hymnen Gebete Lästerungen, Berlin 1920)
"Auch ich war lange ohne Trost, zerrüttet, gottlos, preisgegeben allen Irrtümern und Launen der Minute, vereinsamt und verängstigt wie Gassenkehricht ... bis mich eines Nachts eine innere Stimme wunderbar getröstet hat ...
Von da an ging es aus den hohlen Gassen wegsam auf eine strahlende Ebene hinaus. Ich schlich mich verstohlen in alte, mystische Bücher, und eines Tages ward mir inne, daß jene totgesagte Heilige Schrift ein unerschöpflicher Freudenborn und Quelle tiefer Wahrheiten ist. Hatte ich früher mit Mißverstehen nur und Überhebung darinnen geblättert, so packten mich jetzt mit Allgewalt die besänftigenden Verse der Psalmen oder die schrecklichen Reden des Jesaja; weckten mich wie einen Schlafenden, wirbelten mich wie Staub gen Himmelshöhen."
Weiterführende Literatur:
Ljuba Berankova und Erik Riedel (Hg.), Apokalypse und Offenbarung. Religiöse Themen im Werk von Ludwig Meidner (Schriftenreihe des Jüdischen Museums Frankfurt am Main Bd. 5), Sigmaringen 1996.