Sonderausstellung: Ludwig Meidner

Ludwig Meidner, Anleitung zum Malen von Großstadtbildern, 1914

Ludwig Meidner, Anleitung zum Malen von Großstadtbildern, 1914
Ludwig Meidner, Anleitung zum Malen von Großstadtbildern, in: Kunst und Künstler 12 (1914), S. 312
© Universitätsbibliothek Heidelberg, http://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/kk1914/0352
Sonderausstellung: Ludwig Meidner

Ludwig Meidner, Anleitung zum Malen von Großstadtbildern, 1914

"Malen wir das Naheliegende, unsere Stadt-Welt! die tumultuarischen Straßen, die Eleganz eiserner Hängebrücken, die Gasometer, welche in weißen Wolkengebirgen hängen, die brüllende Koloristik der Autobusse und Schnellzugslokomotiven, die wogenden Telephondrähte (sind sie nicht wie Gesang?), die Harlekinaden der Litfaß-Säulen, und dann die Nacht... die Großstadt-Nacht..."

aus: Ludwig Meidner, Anleitung zum Malen von Großstadtbildern. in: Kunst und Künstler 12 (1914), S. 312-14


Meidner besaß neben seinem künstlerischen Talent auch eine außerordentliche literarische Begabung. Seine sprachgewaltigen, hymnischen Prosadichtungen publizierte er in zwei illustrierten Bänden: "Im Nacken das Sternemeer", erschienen 1918 bei Kurt Wolff in Leipzig, und "Septemberschrei", erschienen 1920 bei Paul Cassirer in Berlin. Neben autobiographischen Schriften und religiös inspirierten Dichtungen enthalten die Bände auch programmatische Texte zur Kunst. Später veröffentlichte Meidner regelmäßig Beiträge in Zeitungen und Zeitschriften, darunter auch humoristische Kurzgeschichten und Feuilletons sowie Betrachtungen zum Verhältnis von Religion und Kunst.

Die folgenden Passagen stammen aus Meidners bereits 1914 publizierten "Anleitung zum Malen von Großstadtbildern":

"Wir müssen endlich anfangen unsere Heimat zu malen, die Großstadt, die wir unendlich lieben. Auf unzähligen, freskengroßen Leinwänden sollten unsre fiebernden Hände all das Herrliche und Seltsame, das Monströse und Dramatische der Avenüen, Bahnhöfe, Fabriken und Türme hinkritzeln. Wir erinnern uns an einzelne Bilder siebziger und achtziger Jahre, welche Großstadtstraßen darstellten. Sie waren von Pissaro oder Claude Monet gemalt, zwei Lyrikern, welche von Wiese, Busch und Baum herkamen. Das Süße und Flockige dieser Agrarlandschafter ist auch in ihren Stadtbildern. Doch malt man Häuserungetüme so strichelnd und durchsichtig, wie man Bäche malt, und Boulevards wie Blumenbeete?! Es ist nicht möglich mit der Technik der Impressionisten unser Problem zu bewältigen. Wir müssen alle früheren Verfahren und Trucs vergessen und ganz neue Ausdrucksmittel uns zu eigen machen.

Das erste ist: dass wir sehen lernen, dass wir intensiver und richtiger sehen als unsere Vorgänger. Die impressionistische Verschwommenheit und Verundeutlichung nützt uns nichts. Die überkommene Perspektive hat keinen Sinn mehr für uns und hemmt unsre Impulsivität. 'Tonalität', 'farbige Lichter', 'farbige Schatten', 'auflösen des Kontur', 'Komplementärfarben' - und was es alles noch gibt - sind Schulbegriffe geworden. Zu zweit - und das ist nicht minder wichtig - müssen wir anfangen zu schaffen. Wir können unsre Staffelei nicht ins Gewühl der Straße tragen, um dort (blinzelnd) 'Tonwerte' abzulesen. Eine Straße besteht nicht aus Tonwerten, sondern ist ein Bombardement von zischenden Fensterreihen, sausenden Lichtkegeln zwischen Fuhrwerken aller Art und tausend hüpfenden Kugeln, Menschenfetzen, Reklameschildern und dröhnenden, gestaltlosen Farbmassen.

Das Malen im Freien ist ganz falsch. Wir können nicht das Zufällige, Ungeordnete unsres Motivs im Nu auf die Leinwand bringen und ein Bild daraus machen. Aber wir müssen mutig und überlegt die optischen Eindrücke, mit denen wir uns draußen vollgesogen haben, zu einer Komposition formen.

Es handelt sich hier nicht, das sei gleich gesagt, um eine rein dekorativ-ornamentale Füllung der Fläche á la Kandinsky oder Matisse - sondern um Leben in seiner Fülle: Raum, Hell und Dunkel, Schwere und Leichtigkeit und Bewegung der Dinge – kurz: um eine tiefere Durchdringung der Wirklichkeit."

Weiterführende Literatur:
Gerda Breuer und Ines Wagemann: Ludwig Meidner. Zeichner, Maler, Literat. 1884-1966. 2 Bde. (Ausstellungskatalog Mathildenhöhe Darmstadt), Stuttgart 1991.

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