Ulrich Becher
Wir deutschsprechenden und -schreibenden Europäer im Exil sind wohloderübel ledig aller weltpolitischen Berücksichtigung (bislang ist’s so, machen mir uns nichts vor!) und damit – Rücksichtnahme; draus muss sich Verpflichtung ergeben zur Zeugnisablegung.
Ulrich Becher in einem Brief an Balder Olden, 4. Juli 1943
Geboren | am 2. Januar 1910 in Berlin, Deutschland |
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Gestorben | am 15. April 1990 in Basel, Schweiz |
Exil | Österreich, Schweiz, Brasilien, Vereinigte Staaten von Amerika (USA) |
Remigration | Schweiz |
Beruf | Schriftsteller |
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Als die Nationalsozialist*innen im Frühjahr 1933 die Macht in Deutschland übernahmen, stand Ulrich Becher am Beginn einer vielversprechenden Karriere als Schriftsteller. Er war gerade 23 Jahre jung, als seinen Erinnerungen zufolge sein Erstling, der 1932 bei Rowohlt verlegte und positiv besprochene Novellenband Männer machen Fehler, den NS-Bücherverbrennungen vom 10. Mai 1933 zum Opfer fiel. Zu diesem Zeitpunkt befand sich Becher schon außer Landes: „Hatte in der Reichstagsbrandnacht 33 Deutschland verlassen, um, als dessen jüngster ‚entarteter Autor‘ und jüngstes Mitglied des George Grosz-Kreises, der Gefahr der Schutzhaft zu entgehn, nicht aus ‚rassischen Gründen‘.“ Mit George Grosz, dessen Grafikschüler Becher seit 1927 war, verband ihn eine lebenslange Freundschaft.
In den Jahren 1933 bis 1938 hält sich Becher vornehmlich in Österreich, aber auch in der Schweiz auf. In Wien heiratet er im Herbst 1933 Dana Roda, die Tochter des österreichischen Humoristen Alexander Roda Roda. Die geplante Berliner Uraufführung seines Stücks Niemand zerschlägt sich, so dass das ‚neuzeitliche Mysterienspiel‘ erst 1936 im Stadttheater in Bern auf die Bühne kommt. Der Erzählband Die Eroberer. Geschichten aus Europa erscheint 1936 mit einem vom Autor selbst nicht anerkannten Geleitwort von Ernst Glaeser im Zürcher Oprecht Verlag.
Nach dem „Anschluss“ Österreichs emigrieren Ulrich und Dana Becher weiter in die Schweiz, ins Engadin. Die Eindrücke dieser Zeit sind später in Bechers Hauptwerk, den großen Exilroman Murmeljagd (1969) eingegangen. Obschon seine Mutter Elise Becher-Ulrich Schweizerin war, erhielt der Autor keine dauerhafte Niederlassungsbewilligung. Dank eines tschechoslowakischen Passes gelang Becher schließlich mit der Gruppe Goergen die Flucht aus Europa nach Brasilien. Nach drei Jahren im brasilianischen Exil folgen vier weitere produktive Jahre in New York, ehe die Familie Becher (1944 war der Sohn Martin zur Welt gekommen) nach Europa remigierte und sich ab 1954 dauerhaft in Basel niederließ. Becher lebte dort bis zu seinem Tod am 15. April 1990 in einem Apartmenthaus.
Die Erfahrung des Exils und die kritische Auseinandersetzung mit den Katastrophen und Kriegen des 20. Jahrhunderts als einer Epoche der Enthumanisierung bilden ein, wenn nicht das Kernthema von Ulrich Bechers Schaffen: Stücke wie Der Bockerer und Samba, die New Yorker Novellen oder Romane wie Kurz nach 4, William’s Ex-Casino und nicht zuletzt die Murmeljagd zeugen davon.
Ulrich Bechers Nachlass liegt zu gleichen Teilen im Schweizerischen Literaturarchiv in Bern sowie im Deutschen Exilarchiv in Frankfurt am Main.
Weiterführende Literatur:
Ulrich Becher. Quarto. Zeitschrift des Schweizerischen Literaturarchivs 29 (2009). Hg. von Ulrich Weber.
Becher, Martin Roda: Dauergäste. Meine Familiengeschichte. Zürich: Nagel & Kimche 2000.
Wagner, Moritz: Nachwort. In: Ulrich Becher: New Yorker Novellen. Ein Zyklus in drei Nächten. Hg. von Moritz Wagner. Frankfurt am Main: Schöffling & Co. 2020, S. 383–404.
Zeller, Nancy McClure: Ulrich Becher. In: Deutschsprachige Exilliteratur seit 1933. Bd. 2: New York. Teil 1. Hg. von John M. Spalek und Joseph Strelka. Bern: A. Francke Verlag 1989, S. 51–67.
Ausgewählte Werke:
Männer machen Fehler (Erzählungen, 1932)
Der Bockerer. Tragische Posse (Drama, 1946; zusammen mit Peter Preses)
Nachtigall will zum Vater fliegen. Ein Zyklus Newyorker Novellen in vier Nächten (1950)
Kurz nach 4 (Roman, 1957)
Murmeljagd (Roman, 1969)