Nachdem Juden im deutschen Reich nahezu völlig entrechtet worden waren, verließ der gerade 16-jährige Hans Günter Flieg 1939 gemeinsam mit seinen Eltern Chemnitz in Richtung Brasilien. Zuvor hatte er bei Grete Karplus, der Fotografin des Jüdischen Museums in Berlin, eine private Fotoausbildung abgeschlossen.

In São Paulo setzte er seine Ausbildung als Lithograf und Fotolithograf fort und fand schnell Arbeit als Fotograf für Werbeaufnahmen, unter anderem bei der L. Niccolini Indústria Gráfica Ltda. Seine Eltern gründeten in São Paulo die Maschinenstickerei Bordados Flieg, deren Leitung sein jüngerer Bruder später übernahm.

Nach Ende des Zweiten Weltkrieges machte sich Flieg selbstständig und wurde zu einem der angesehensten Dokumentarfotografen Brasiliens. Er dokumentierte das deutsch-jüdische Exil in Brasilien, vor allem aber die Entwicklung der Stadt São Paulo, die er vor seinem fotografischen Auge wachsen sah. Fliegs Industriefotografien zeigen ein modernes Brasilien und lassen den Betrachter erahnen, weshalb der ebenfalls im brasilianischen Exil lebende Schriftsteller Stefan Zweig es als Land der Zukunft bezeichnete.

Flieg erhielt 1965 die brasilianische Staatsbürgerschaft und lebt bis heute in São Paulo. Erst im Jahre 2008 kam er, anlässlich seiner Werkschau in den Kunstsammlungen Chemnitz, zum ersten Mal wieder für einen Besuch nach Deutschland. 

Weiterführende Literatur:
Derenthal, Ludger und Titan, Samuel (Hrsg.): Brasiliens Moderne. 1940 – 1964. José Medeiros, Thomas Farkas, Marcel Gautherot, Hans Gunter Flieg. Ausstellungskatalog Berlin. Bielefeld: Kerber 2013
Mössinger Ingrid und Metz Katherina (Hrsg.): Hans Günter Flieg. Dokumentarfotografie aus Brasilien (1940 – 1970). Ausstellungskatalog Chemnitz. Bielefeld: Kerber 2008