Gustav Wolf: Emigranten, Gedicht (12. Januar 1942)
Gustav Wolf: Emigranten, Gedicht (12. Januar 1942)
Es saßen sechs in Chinatown wohl um den volln Tisch / der eine sprach von ehedem der andre sprach von sich […].
Gustav Wolf in seinem Gedicht Emigranten, 12. Januar 1942
Dem Künstler Gustav Wolf bot in seinen Anfangsjahren im New Yorker Exil die Freundschaft zu Max Fischer willkommenen Halt. Dieser war wie Wolf aus dem nationalsozialistischen Deutschland geflohen. In New York scharrte Fischer einen kleinen Kreis von Emigranten um sich, dem auch Wolf angehörte. Im Januar 1942 verfasste dieser ein Gedicht über diese Stammtischrunde.
Den Reimen zufolge müssen es sehr lebendige Zusammenkünfte gewesen sein. Laut und lebhaft, dabei eloquent und verständig. So nämlich charakterisierte Wolf mit wenigen Worten den Kreis von Europäern um Max Fischer. Allesamt waren sie Emigranten und Juden – „Semiten in Manhattan“. Der Künstler erwähnte in seinem Gedicht Chinatown als Versammlungsort für das „Colleg“. Einen genauen Ort nannte er nicht. Vielleicht war es Lee’s Restaurant, das sich in jenen Jahren als das älteste chinesische Restaurant in New York titulierte. Eine Werbepostkarte von diesem Lokal jedenfalls hat sich mitsamt Grüßen des Stammtischbruders Max Fischer in Wolfs Nachlass erhalten.
Wenige Monate nach seinem Gedicht war dieser dann kein „Semit in Manhattan“ mehr. Er und seine Ehefrau Lola verließen 1942 die ungeliebte Metropole und zogen nach Cummington/Massachusetts in das örtliche Refugee Hostel. Dort nahm Wolf ein Buchprojekt mit der ansässigen Cummington Press in Angriff. Von der New Yorker Stammtischrunde war er nun räumlich getrennt. Es blieben ein schriftlicher Kontakt mit Max Fischer – und das Gedicht über die lebhaften Treffen in Chinatown.