Peter Weiss: Brief an die Eltern (1938)

Brief: Peter Weiss, Weihnachten 1938
Peter Weiss: Brief an die Eltern, mit Zeichnungen zu seinem Tagesablauf, Carabietta im Tessin, Dezember 1938. 
Akademie der Künste, Berlin, Peter-Weiss-Archiv, Nr. 1609. © Gunilla Palmstierna-Weiss

Peter Weiss: Brief an die Eltern (1938)

Ein Weihnachtsbrief aus Carabietta (Schweiz)

Begabung haben Sie ohne Zweifel, sowohl als Dichter wie als Maler.

Hermann Hesse in einem Brief an Peter Weiss, Montagnola, 21. Januar 1937


Weihnachten 1938 verbrachte der 22-jährige Peter Weiss im Tessin. In einem Brief an die Eltern berichtete der junge Maler und Schriftsteller von seinem Leben. Er arbeitete ganz in der Nähe des von ihm bewunderten Hermann Hesse, den er schon im Vorjahr besucht hatte. Während seines zweiten Aufenthalts – zu Studienzwecken und um sich als Künstler und Mensch zu finden – war Weiss in einem Atelier des Hauses von Olly Jacques in Carabietta eingemietet. Hier illustrierte er u.a. Hesses autobiographisches Märchen Kindheit eines Zauberers, ein Auftrag, mit dem Hesse ihn in seiner unsicheren Existenz unterstützen wollte.

Im Weihnachtsbrief an die Eltern gab Weiss eine ausführliche Schilderung eines fast schon idyllisch anmutenden Tages in der Tessiner Künstlerabgeschiedenheit. Dem Anlass entsprechend sparte er den Adressaten gegenüber bestimmte Themen aus, so die später immer wieder betonte Bekanntschaft mit Margarete Melzer, und stilisierte zugleich das Gefühl, sich heimisch zu fühlen an diesem Ort, der doch nur Durchgangsstation war. In den Brief bricht denn auch die existenzielle Bedrohung durch die politische Situation ein. Die Eltern waren inzwischen aus der Tschechoslowakei nach Schweden geflohen, und auch für ihn, der in der Schweiz noch eine viermonatige Aufenthaltsgenehmigung hatte, stellte sich die Frage: wohin weiter? Der Versuch, sich angesichts des drohenden Krieges eine Künstlerexistenz aufzubauen, mutete rückblickend fast schon naiv an, und der spätere politisch engagierte Autor erinnerte die Hesse-Episode nurmehr flüchtig.

Im Januar reiste Weiss ab, über Berlin gelangte er ins schwedische Exil.

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