Peter Weiss: Brief an Curt Trepte (25. August 1941)
Peter Weiss: Brief an Curt Trepte (25. August 1941)
Und die Unruhe, die jetzt begonnen hatte, ließ sich nicht mehr eindämmen, nach Wochen und Monaten langsamer innerer Veränderungen, nach Rückfällen in Schwäche und Mutlosigkeit, nahm ich Abschied von den Eltern. Die Räder der Eisenbahn dröhnten unter mir mit unaufhörlichen Kesselschlägen, und die Gewalten des Vorwärtsfliegens schrien und sangen in beschwörerischem Chor. Ich war auf dem Weg, auf der Suche nach dem eigenen Leben.
Peter Weiss: Abschied von den Eltern, 1961
Anfang August 1941 schrieb der Maler und Schriftsteller Peter Weiss aus dem ländlichen Alingås bei Göteborg an den 1938 nach Schweden emigrierten Theaterregisseur und Schauspieler Curt Trepte, der sich bereiterklärt hatte, ihm zum 1. September ein Zimmer seiner Wohnung abzugeben. Trepte wohnte im Stockholmer Stadtteil Abrahamsberg. Die Verbindung hatte eine Freundin von Peter Weiss, Henriette Itta Blumenthal, vermittelt, die zwei Monate später in die USA ausreiste.
Die angekündigte Ankunft in Stockholm war der zweite und erfolgreichere Versuch von Peter Weiss, sein Leben als Künstler in der schwedischen Hauptstadt auf eigene Füße zu stellen. Sein erster Aufenthalt, vom November 1940 bis zum Mai 1941, war gescheitert, obwohl es ihm im März 1941 gelang, Gemälde und Zeichnungen in einer Ausstellung in den „Mässhallen“ zu zeigen. Er konnte jetzt die Kontakte nutzen, die er zu anderen Emigranten in Stockholm gefunden hatte, zum Bildhauer Karl Helbig und zu Max Hodann, dem er in seinen Romanen Abschied von den Eltern und Die Ästhetik des Widerstands ein Denkmal setzte.
Itta Blumenthal hatte am 29. August, Max Hodann einen Tag später Geburtstag. Da sie gemeinsam feierten, wollte auch Weiss früher nach Stockholm kommen. Durch seinen Quartiergeber Curt Trepte, der 1938 vor den Verfolgungen aus dem sowjetischen Exil geflohen und 1939 in Schweden mit Bertolt Brecht zusammengearbeitet hatte, kam Peter Weiss mit dem Exiltheater in Berührung. Jahre später, 1972, fuhr er zu Curt Trepte nach Berlin, um mit ihm Gespräche über die Recherchen zu seinem Roman Die Ästhetik des Widerstands zu führen.