Die versunkenen Welten des Roman Vishniac (Dokumentarfilm, CH 1978, Ausschnitt)
Die versunkenen Welten des Roman Vishniac (Dokumentarfilm, CH 1978, Ausschnitt)
„Ich denke so oft an das Zuhause, und im nächsten Augenblick: Was – wo ist das Zuhause? Das Zuhause ist natürlich in Moskau, wo ich geboren bin und aufgewachsen... und dann springt der Gedanke zur nächsten Etappe. Es ist Berlin. Und dann wieder die nächste Etappe, verjagt, zuerst von Lenin, und dann von Hitler, und dann kam Paris, und nach Paris nach Frankreich, nach dem Freien Frankreich, ... und dann von Frankreich wieder verjagt, und weiter, weiter...“ (Roman Vishniac, 1977)
Roman Vishniac im Interview in Die versunkenen Welten des Roman Vishniac
Roman Vishniac, geboren 1897 in Sankt Petersburg, war Mikrobiologe, Erfinder, Philosoph, Universitätsdozent, Kunsthistoriker – und Fotograf: Seine erste Fotografie macht er bereits 1906, sie zeigt das Bein einer Küchenschabe, durch das Mikroskop aufgenommen. In Folge von antijüdischen Pogromen nach der Oktober-Revolution 1917 verlässt seine Familie Russland und zieht nach Berlin um; von dort geht Vishniac 1939 nach Frankreich ins nächste Exil. Ab 1933 reist er mit einer versteckten Fotokamera durch Osteuropa, um „Photos und Filme von den Juden in den Ghettos und kleinen Städten zu machen. Er sei davon überzeugt, daß Hitler alle Juden Europas zum Tode verurteilt habe, und könne ihr Leben nicht retten, aber ihr Bild der Nachwelt überliefern“, erzählte seine Tochter Mara dem späteren Filmemacher Erwin Leiser (geboren 1923) – beide begegneten sich 1939, ebenfalls exiliert, in einem schwedischen Kinderheim.
Leisers Dokumentarfilm, gedreht 39 Jahre später, konzentriert sich auf die Fotografien, die an die Bewohnerinnen und Bewohner der osteuropäischen jüdischen Shtetl und Ghettos erinnern. Die Schwarz-Weiß-Fotos von alltäglichen Szenen sind durchsetzt mit Interviewpassagen, in denen Vishniacs eigene Erfahrungen den Hintergrund für die Darstellung dieser untergegangenen Kultur bilden.
Leiser lässt in den abgefilmten, sozusagen belebten Fotografien diese verschwundenen Welten wieder aufleben, und verschränkt in der Person des dokumentierenden, „fotografierenden Philosophen“ (Leiser) Vishniac Fragen nach Heimat und Identität mit dem Anliegen der Erinnerung.
Weiterführende Literatur:
Vishniac, Roman: Verschwundene Welt. Mit einem Vorwort von Elie Wiesel. München: Hanser 1990
Leiser, Erwin: Close up. Auf der Suche nach der Wirklichkeit. Meine Filme 1960 – 1996. Konstanz: UVK Medien 1996