Diese Fotografie von Kurt Röhrig zeigt den Schriftsteller Fritz von Unruh am 18. Mai 1948 bei seiner Festrede anlässlich der Wiedereröffnung der Frankfurter Paulskirche nach ihrer Zerstörung im Zweiten Weltkrieg. Das Datum markiert zugleich das Jubiläum der demokratisch gewählten Frankfurter Nationalversammlung, die an diesem Tag vor 100 Jahren zum ersten Mal zusammentrat. Von Unruh war vom Frankfurter Oberbürgermeister Walter Kolb eingeladen worden, die Rede zu halten. Der Schriftsteller hatte zu Frankfurt eine enge Verbindung: Hier hatte er vor seiner Emigration gelebt und seine Dramen waren erfolgreich aufgeführt worden.

Nach einem historischen Abriss und einem autobiografischen Teil, in dem von Unruh von der bitteren Erfahrung seines Exils sprach, adressierte er die Festgemeinde direkt: „(…) verlangen Sie etwa durch mich zu erfahren, daß die Tragödie deutscher Raubtiermoral vergeben und vergessen ist? Wer unter uns könnte sich selbst vergeben … und vergessen? Wer?“ Von Unruhs Appelle an das Gewissen der Zuhörenden geriet so eindringlich, dass er ohnmächtig am Pult zusammenbrach und erst nach einer Pause seine Ausführungen fortsetzen konnte.

Später im Jahr 1948 bekam von Unruh an gleicher Stelle von Walter Kolb den Frankfurter Goethe-Preis verliehen. In seiner Laudatio blickte Kolb auch auf von Unruhs Festrede zurück, die „dem deutschen Volk wieder den Weg aus der Finsternis zum Lichte zu zeigen“ (Aufbau, 1948) imstande gewesen sei. Tatsächlich aber fanden von Unruhs Worte in der breiten Öffentlichkeit kaum mehr Resonanz.

Weiterführende Literatur:
von Unruh, Fritz: Rede an die Deutschen, Frankfurt: Verlag der Frankfurter Hefte 1948.