Zensurbescheid Lisa Tetzner: „Sie können nicht mehr nach Hause“

Schweizerische Armee: Brief an den Sauerländer Verlag vom 11. Juni 1943
Vorläufiger Zensurbescheid zu Lisa Tetzners Jugendroman „Sie können nicht mehr nach Hause“ vom 11. Juni 1943.
Schweizerisches Bundesarchiv, E4450 1000/864 5307 4

Zensurbescheid Lisa Tetzner: „Sie können nicht mehr nach Hause“

Die Situation ist eben viel heikler, wenn eine Emigrantin dies schreibt, als wenn eine Schweizerin dies geschrieben hätte.

Hans Sauerländer an Lisa Tetzner, Aarau, 2. Juni 1943


Die neunbändige „Kinderodyssee“ Die Kinder aus Nr. 67 wird heute mehrheitlich als Lisa Tetzners zentrales Werk angesehen. Die Handlung spielt zwischen 1931 und 1945, im Zentrum stehen drei Nachbarskinder einer Mietskaserne, die während der Zeit des Nationalsozialismus ganz unterschiedliche Schicksale erfahren.

Den Plan, ein mehrbändiges Werk auf Grundlage von zwei noch 1932 und 1933 in Deutschland veröffentlichten Erzählungen zu konstruieren, fasste Tetzner vermutlich Ende der 1930er Jahre im Exil in der Schweiz: Sie wollte das aktuelle Geschehen in Europa dokumentieren und für Kinder und Jugendliche begreifbar machen, gleichzeitig einen politischen Lernprozess anregen. In der neutralen Schweiz war sie damit am falschen Ort. Als sie ihrem Verleger Hans Sauerländer 1943 die ersten vier Bände vorlegte, lehnte der Band eins und zwei von vorneherein als zu heikel ab. Band drei und vier schickte er an die Zensurbehörde des Schweizerischen Armeekommandos. Die verlangte die Streichung sämtlicher Bezüge zu den realen Vorgängen in Deutschland und aller deutlichen politischen Urteile. Erst nachdem Tetzner dieser Auflage gefolgt war, konnten die Bände erscheinen, der letzte wurde 1949 veröffentlicht. 

Während in der DDR die ersten Bände in hohen Auflagen erschienen, die Publikation ab dem sechsten Teil aber wegen zu amerikafreundlicher Passagen eingestellt wurde, fanden die Bücher in der Bundesrepublik der Nachkriegszeit lange Zeit kaum Beachtung. Erst im Zuge der Aufarbeitung der nationalsozialistischen Verbrechen in den 1990er Jahren wurde die „Kinderodyssee“ als wichtiges Jugendbuch zu dieser Thematik gewürdigt und auch verfilmt.

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