Arnold Schönberg: Kanon für Thomas Mann zum 70. Geburtstag (1945)
Arnold Schönberg: Kanon für Thomas Mann zum 70. Geburtstag (1945)
Wahrscheinlich, um Ihnen meine Schätzung auf besondere Weise zu zeigen, habe ich es mir mit diesem Kanon besonders schwer, ja fast unmöglich gemacht. Es klingt übrigens unmöglich, und ich hoffe, Sie werden es nicht hören wollen (weshalb ich es auch in den „alten“ Schlüsseln notierte). Es ist nicht ohne (aufrichtigen) Egoismus, / dass ich wünsche: wir beide mögen einander noch viele Jahre gute Zeitgenossen bleiben. Herzlichst, Ihr Arnold Schönberg
Arnold Schönberg in der handschriftlichen Widmung des Kanons an Thomas Mann
Mit diesen Worten widmete Arnold Schönberg dem Schriftsteller Thomas Mann einen Kanon zum 70. Geburtstag, den er am 6. Juni 1945 beging. Schönberg und Mann lernten sich wahrscheinlich 1938 in Hollywood persönlich kennen, brieflich verkehrten sie bereits seit 1930. Als Thomas Mann 1940 nach Los Angeles kam, wohnte er zunächst in Brentwood, ein paar Häuser von Schönberg entfernt. Auch der folgende Wohnsitz Thomas Manns in Pacific Palisades war nur rund zwei Kilometer entfernt. Ab 1943 standen sie in engem Kontakt, da Thomas Mann für die Arbeit an seinem Roman Doktor Faustus Schönbergs Harmonielehre sowie das Oratorium Die Jakobsleiter studierte.
Der Kontakt zwischen den beiden Männern war nie besonders herzlich, zwar verkehrten sie beide in den Salons von Alma-Mahler-Werfel und Salka Viertel, auch lobte Thomas Mann in seinen Tagebüchern den vorzüglichen Kaffee, den Schönbergs Frau Gertrud bereitete. Doch abgesehen von diesen wenigen gesellschaftlichen Kontakten und dem fachlichen Austausch anlässlich des Romans Doktor Faustus verband sie nicht allzu viel. Insofern überrascht die Widmung, in der Schönberg um die Gunst Thomas Manns wirbt. In die Konstruktion des kurzen Kanons hat Schönberg übermäßig viele Schwierigkeiten eingebaut, wahrscheinlich als Symbol für das persönliche Verhältnis. Nachdem der Roman 1947 erschienen war, kam es zu einem schweren Zerwürfnis zwischen Schönberg und Mann, da Schönberg sich und seine Zwölftonmethode verunglimpft sah. Dieser Konflikt konnte bis ans Lebensende der beiden Männer nicht vollständig ausgeräumt werden.