Die Fotografie des Großvaters, der stete Begleiter von Sasha Marianna Salzmann
Die Fotografie des Großvaters, der stete Begleiter von Sasha Marianna Salzmann
Die Rückseite dieser Fotografie ist porös geworden von den Klebestreifen, die ich an ihren Rändern anbrachte, um das Bild stets irgendwo in meiner Nähe zu positionieren und dann immer wieder abriss, um es in die nächste Wohnung, an den nächsten Schreibort mitzunehmen.
Sasha Marianna Salzmann, 2019
Trotz vieler Ortswechsel sind einige Dinge beständig. Für Sasha Marianna Salzmann gehört ein Foto ihres Großvaters dazu. In einer persönlichen Nachricht schreibt sie:
„Rechts unten steht: 1. августа 1955г г.Гроозный ГНИ после практики – 1. August 1955 Grosny, Staatliches Öl-Institut oder auch: Staatliches Institut für Öl und Technik der Stadt Grosny. Danach ein kleiner persönlicher Vermerk: nach dem Praktikum.
Der Mann in der Mitte im dunklen Hemd, das seine schmalen Schultern schluckt, links neben dem Tanzenden oder euphorisch Gestikulierendem, ist mein Großvater. Er hält etwas zwischen Daumen und Zeigefinger der angewinkelten rechten Hand geklemmt, ich vermute eine Zigarette, aber ich weiß es nicht. Man kann es nicht genau erkennen. Ich vermute so vieles über diese Zeit und kann nicht scharfstellen oder näher ran zoomen. Ich frage bei den Lebenden nach, aber die Antworten, die ich bekomme, sind nicht annähernd so real wie dieses Foto, das immer mit mir reist. Wir – kommt mir, wenn ich darüber nachdenke, wie viel meine Familie sich in dem letzten Jahrhundert bewegt hat – waren auch in Grosny. Und Czernowitz, Odessa, Wolgograd, Moskau und Chişinău. In Belz. In Kiew. In all den Städten, von denen ich nichts weiß. Meine Stadt/Zeitrechnung fängt bei Moskau an, sie geht über eine Menge deutscher Kleinstädte nach Istanbul und nun nach Berlin. Das Foto klebt am Deckel meines Griffelkastens auf meinem Schreibtisch, Danja, mein Großvater, und ich schauen beide zum Fenster hinaus.“