Brief der Reichsschrifttumskammer an Alfred Neumeyer (15. Juni 1935)

Brief: Reichsschrifttumskammer an Alfred Neumeyer
Brief der Reichsschrifttumskammer an Alfred Neumeyer, Berlin, 15. Juni 1935
Nürnberg, GNM, DKA, NL Neumeyer, Alfred, I, B-5

Brief der Reichsschrifttumskammer an Alfred Neumeyer (15. Juni 1935)

Man möchte denken, daß die Arbeit an den Museen und die Dozentur an der Universität den Tag mehr als ausgefüllt hätte – aber da gab es ja die Nacht und die Ferien. In ihnen lebte ich meinen dritten Beruf – den des Schriftstellers. Dieser war nicht etwa ein Zeitvertreib oder ein Ehrgeiz, sondern ein absoluter Zwang.

Alfred Neumeyer über sein Leben vor dem Exil in seiner Autobiografie Lichter und Schatten, 1967


Die „Reinigung der Reichskulturkammer von nichtarischen Mitgliedern“ traf Alfred Neumeyer im Juni 1935. Brieflich wurde ihm fortan jegliche schriftstellerische Tätigkeit strengstens untersagt. Für Neumeyer war nach eigenem Bekunden die literarische Betätigung kein Zeitvertreib, sondern eine innere Notwendigkeit. Unter Androhung von Strafgewalt schob das amtliche Schreiben des Präsidenten der Reichsschrifttumskammer dieser für Neumeyer so wichtigen Ausdrucksmöglichkeit einen Riegel vor.

Bereits vor der Machtergreifung der Nationalsozialisten hatten diese gegen Neumeyers literarische Tätigkeit polemisiert. Der Völkische Beobachter hetzte im Herbst 1932 gegen sein erstes Theaterstück Die Herde sucht. Sturmtruppen beäugten von den oberen Rängen aus die Premiere des Stückes am Berliner Schillertheater. Nach der Machtergreifung wurde das Schauspiel aus dem Spielplan gestrichen.

Der Passus im Ausschlussschreiben aus dem Reichsverband Deutscher Schriftsteller, Neumeyer könne zumindest rein wissenschaftliche Texte weiterhin publizieren, liest sich wie eine Farce angesichts der damaligen Begebenheiten. Neumeyer war als jüdischer Privatdozent für Kunstgeschichte in Berlin im Juni 1935 bereits massiven Behinderungen ausgesetzt. So fasste er im selben Monat den Entschluss, sich beurlauben zu lassen und nach Kalifornien zu gehen. Im amerikanischen Exil konnte er wieder ungehindert schreiben und über Exil-Zeitschriften wie Mass und Wert sogar deutschsprachig veröffentlichen. 

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