Hans Natonek: Der Schlemihl (1936)
Hans Natonek: Der Schlemihl (1936)
Ihre Stärke ist der Alltag. Sie haben Sprache, wozu brauchen Sie das falsch Phantastische? Das ist etwas für Nichtskönner, die sich den „Stoff“ retten. Sie brauchen ja nur zu sehen.
Joseph Roth an Hans Natonek, Paris, 17. Mai 1930
Nachdem der Schriftsteller Hans Natonek durch Ausbürgerung staatenlos geworden und von den Gesetzgebungen der Nationalsozialisten auf seine jüdische Herkunft zurückgeworfen worden war, setzte er sich intensiv mit der Bedeutung von Identität auseinander. Noch in Deutschland lebend, schrieb Natonek vom Frühjahr bis zum Herbst 1934 den Roman Der Schlemihl.
Die Basis seines historischen Romans bildet die Biografie des Dichters Adelbert von Chamisso. Dieser hatte in zwei Nationen – Deutschland und Frankreich – gelebt und versucht, beide in sich zu vereinen. Dies gelang jedoch nicht, da er nirgendwo seinen Platz und eine gefestigte Identität fand. Ebenso geht der Erzähler in Der Schlemihl den Fragen von Heimatlosigkeit und Vertreibung nach. Zentrale Figur des Textes ist der Verstoßene, der durch den Verlust seiner Existenz und somit seiner Identität, ruhelos umher getrieben wird. Natonek verarbeitet hier zum einen die eigene Identitätssuche und nimmt zum anderen seine späteren Exilerfahrungen vorweg.
Natonek schrieb den Schlemihl, ohne die Hoffnung zu haben, dass der Roman zeitnah erscheinen würde. Doch bereits 1935 (vom Verlag auf 1936 datiert) erschien der Roman – gewidmet allen Heimatlosen der Welt – bei Allert de Lange in Amsterdam. Der aus Hameln stammende und im Exil lebende Künstler Léon Holmann übernahm die Gestaltung des Buchumschlags.
Beide Werke, Der Schlemihl und Geld regiert die Welt (1930), standen später auf der Schwarzen Liste der Nationalsozialisten.