Jo Mihaly: Rede zur Abschiedsveranstaltung der Kulturgemeinschaft der Emigranten in Zürich (1945)
Jo Mihaly: Rede zur Abschiedsveranstaltung der Kulturgemeinschaft der Emigranten in Zürich (1945)
Es war wirklich eine Veranstaltung, die, glaube ich, keiner je vergessen könnte. Damit war dann das Ende der Kulturgemeinschaft gegeben, denn zugleich war Kriegsende in demselben Jahr 45, und die Lager öffneten sich, und die Flüchtlinge konnten nun frei wählen zum Auswandern in fremde Länder und Erdteile.
Jo Mihaly, Lebenserinnerungen, 1984
Die Tänzerin und Schriftstellerin Jo Mihaly war sich bewusst, dass das Leben vieler Emigranten nicht nur von materieller Not geprägt war. Sie erlebten auch eine Form „geistiger Not“. Um diese zu lindern, gründete sie zusammen mit einigen Mitstreitern 1942 die Kulturgemeinschaft der Emigranten in Zürich. Die Gemeinschaft der Emigranten organisierte kulturelle Veranstaltungen. Mihaly war Spiritus rector der Organisation, ihr Amt kam einer Programmdirektion gleich. Der Ehemann von Jo Mihaly, Leonard Steckel, rezitierte bei Veranstaltungen der Kulturgemeinschaft beispielsweise Gedichte des Schriftstellers Bertolt Brecht, andere Emigranten gaben Klavierabende. Jo Mihaly las aus Werken von Künstlern vor, die - wie Erich Mühsam - von den Faschisten getötet wurden. An Diskussionsabenden wurde über die Probleme der gesellschaftlichen Neugestaltung des Heimatlandes gesprochen. Besonders für die Flüchtlinge, die in den Lagern für Zivil- und Militärflüchtlinge einen harten Arbeitsalltag hatten, waren diese Abende wertvoll. Auch in den Lagern selbst wurden „Gastspiele“ veranstaltet. Mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs änderte sich die Situation für die Flüchtlinge in der Schweiz. Sie konnten nun ausreisen und die Lager wurden geschlossen. Folglich löste sich auch die Kulturgemeinschaft auf.
Diese Rede hielt Jo Mihaly zum Abschied der Organisation. In ihrem Vortrag gedenkt sie der Opfer des Faschismus. Sie resümiert die Verdienste der Kulturgemeinschaft, drückt aber gleichzeitig ihre Freude darüber aus, dass es keinen Anlass mehr für die Existenz der Organisation gibt.