Helga Michie: Brief an Mutter und Schwester (22. September 1942)

Brief: Helga Singer
Rote Kreuz-Brief von Helga Singer, geborene Aichinger, aus London an ihre Mutter und Schwester in Wien, 22. September 1942
Nachlass Ilse Aichinger, Deutsches Literaturarchiv Marbach, © Ruth Rix, Lena und Miriam Eich

Helga Michie: Brief an Mutter und Schwester (22. September 1942)

Vollständig überrascht, sehr besorgt, wer ist Walter Singer?

Ilse Aichinger an Klara Kremer, 14. April 1942


Der Briefwechsel zwischen der im Juli 1939 mit einem Kindertransport nach London geflohenen Helga Aichinger (heute Michie) und ihrer Familie in Wien weist große Lücken auf. Während der ersten Monate in England, auch noch nach Beginn des Krieges im September, konnte die 17-Jährige ausführliche Berichte nach Hause schicken. Dies änderte sich jedoch mit dem weiteren Kriegsverlauf. Aus den Jahren 1940 und 1941 sind überhaupt keine Briefe überliefert, da nach Beginn des Westfeldzugs der normale Postverkehr zwischen England und dem Deutschen Reich eingestellt wurde. 

Erst aus dem Jahr 1942 existieren wieder Briefe, die über das Rote Kreuz versendet wurden. Die Anzahl der Worte war auf 25 beschränkt, die Nachrichten mussten entsprechend zugespitzt formuliert werden. Und Helga hatte große Neuigkeiten: Sie war verheiratet und  schwanger. Für viel mehr Informationen, etwa zu ihrer Gefühlslage angesichts dieser Umstände, fehlte der Platz. Entsprechend besorgt war die Reaktion ihrer Familie: „Vollständig überrascht, sehr besorgt, wer ist Walter Singer? Warum nichts darüber? Maszlose Sehnsucht! Helgi bestes Sanatorium – scheut keine Kosten! Wir alle gesund“, schrieb Ilse Aichinger am 13. April 1942 an ihre Tante Klara Kremer in London. Der Brief war offenbar Monate unterwegs, die Antwort verfasste Kremer am 1. August: Ruth war geboren – „Helgi Walter überglücklich“. Zu ihrem und Ilses Geburtstag am 22. September schrieb Helga dann wieder selbst und schickte „Gottes Segen“ und „ein Extrabussi vom dicken süssen Ruthibaby“.

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