Thomas Mann, Frank Thieß, Walter von Molo: Ein Streitgespräch über die äußere und die innere Emigration (1946)
Thomas Mann, Frank Thieß, Walter von Molo: Ein Streitgespräch über die äußere und die innere Emigration (1946)
Auch ich bin oft gefragt worden, warum ich nicht emigriert sei, und konnte immer nur dasselbe antworten: Falls es mir gelänge, diese schauerliche Epoche (über deren Dauer wir uns freilich alle getäuscht hatten) lebendig zu überstehen, würde ich dadurch derart viel für meine geistige Entwicklung gewonnen haben, daß ich reicher an Wissen und Erleben daraus hervorginge, als wenn ich aus den Logen und Parterreplätzen des Auslands der deutschen Tragödie zuschaut.
Frank Thieß, Die innere Emigration, 1946
In einem Beitrag in der Hessischen Post vom 4. August 1945 forderte der Schriftsteller Walter von Molo, vormals Vorsitzender der Sektion Dichtung innerhalb der Preußischen Akademie der Künste, Thomas Mann und mit ihm alle anderen exilierten Künstler zur Rückkehr nach Deutschland auf. Mann reagierte auf den öffentlichen Appell seines Kollegen mit einem Aufsatz in der Neuen Schweizer Rundschau. Dessen Titel ließ keinerlei Raum für Spekulationen: Warum ich nicht nach Deutschland zurückgehe. In seinem Text erläuterte der Literatur-Nobelpreisträger die zwischenzeitliche Entfremdung von seinem Heimatland: „Ich gestehe, dass ich mich vor den deutschen Trümmern fürchte – den steinernen und den menschlichen. Und ich fürchte, daß die Verständigung zwischen einem, der den Hexensabbat von außen erlebte, und Euch, die Ihr mitgetanzt und Herrn Urian aufgewartet habt, immerhin schwierig wäre.“
Anhand des Briefwechsels entspann sich ein öffentlicher Disput zwischen Auslands-Exilanten wie Mann sowie Vertretern der sogenannten inneren Migration, Künstlern also, die sich trotz persönlicher Einschränkungen und Schikanen dazu entschlossen hatten, während der NS-Zeit in Deutschland zu bleiben. Einer ihrer Wortführer war der in Lettland geborene Schriftsteller Frank Thieß, nachmals Vizepräsident der Akademie für Deutsche Sprache und Dichtung in Darmstadt.
Die abgebildete Broschüre, ein Zeugnis dieser bedeutendsten literarischen Debatte der deutschen Nachkriegsjahre, erschien 1946 im Druckschriften Vertriebsdienst in Dortmund.