Thomas Mann: Deutsche Ansprache. Ein Appell an die Vernunft (1930)

Umschlagvorderseite: Deutsche Ansprache
Umschlagvorderseite der Erstausgabe von Thomas Manns Deutsche Ansprache, erschienen im S. Fischer Verlag, Berlin 1930
Antiquariat Dr. Haack, Leipzig, mit freundlicher Genehmigung von Frido Mann, © S. Fischer Verlage, Frankfurt am Main

Thomas Mann: Deutsche Ansprache. Ein Appell an die Vernunft (1930)

Und doch fragte ich mich, ob es sich lohne, ob es auch nur anständig und irgendwie vertretbar sei, unter den heutigen Umständen nach Berlin zu kommen, um ein Romankapitel vorzulesen und, etwas Lob und Kritik in der Tasche [...] wieder nach Hause zu fahren.

Thomas Mann, Deutsche Ansprache, 1930


Eigentlich sollte der Schriftsteller Thomas Mann auf Einladung des Verbands Deutscher Erzähler im Oktober 1930 in Berlin einige Kapitel aus einem neuen Roman vortragen. Doch angesichts der drastischen Stimmenzugewinne der NSDAP bei der Reichstagswahl vom September 1930 entschied sich der erst im Vorjahr mit dem Literaturnobelpreis Ausgezeichnete, zu einer zusätzlichen Veranstaltung in den Berliner Beethovensaal zu bitten. In seiner dort verlesenen Deutschen Ansprache - untertitelt Ein Appell an die Vernunft - formulierte er ein bislang ungekannt offenes Plädoyer gegen den um sich greifenden politischen Extremismus. Der Republik von Weimar attestierte Mann eine besorgniserregende gesellschaftliche Nervosität, die er auf die peinigenden Bedingungen des Versailler Friedensvertrags und eine panische Angst vor dem Marxismus zurückführte.

Angesichts einer beklagenswerten Abkehr von der „humanistisch-idealistischen Schule des neunzehnten Jahrhunderts“ schwor der Autor der Buddenbrooks (1901) die bürgerlichen Kreise auf ein politisches Zweckbündnis mit der Sozialdemokratie ein – zum Erhalt von Freiheit und Demokratie. Dezidiert lobte er die maßvollen diplomatischen Revisionsbestrebungen des ehemaligen Reichskanzlers und Außenministers Gustav Stresemann (1878-1929).

Thomas Manns Rede wurde durch eine Gruppe politischer Gegner – darunter die Schriftsteller Arnolt Bronnen, Ernst und Friedrich Georg Jünger – sowie eine rund zwanzigköpfige Abordnung smokingtragender SA-Leute mit lautstarken Zwischenrufen gestört. Letztlich jedoch verpufften diese Sabotageversuche in Anbetracht der anhaltenden Beifallsbekundungen des Publikums.

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