Heinz Liepman: Müssen wir wieder emigrieren? Manuskriptauszug (1963)
Heinz Liepman: Müssen wir wieder emigrieren? Manuskriptauszug (1963)
In seinem Ende Januar 1963 ausgestrahlten Radiobeitrag im Norddeutschen Rundfunk kritisiert der Schriftsteller und Journalist Heinz Liepman eine bundesrepublikanische Mentalität, die sich einer Auseinandersetzung mit der eigenen nationalsozialistischen Vergangenheit verweigert. Liepman sieht weniger den alltäglich begegnenden Antisemitismus als Gefahr, vielmehr warnt er vor einem erneuten Erstarken derjenigen, die keine Kritik an dem bestehenden gesellschaftlichen Klima zulassen. „Sattheit und Saturiertheit“ herrschten, während persönliche Integrität in der Argumentation Liepmans gerade zur gesellschaftlichen Isolation führt. Öffentliche Kritik an Wohlstand und Wirtschaftswunder wird folglich nicht geschätzt, sondern lässt im Gegenteil kritische Intellektuelle zu geächteten Außenseitern werden. Hier zieht Liepman Parallelen zu früheren Intellektuellen während des Nationalsozialismus: Diese begaben sich freiwillig in Opposition und waren somit gezwungen zu emigrieren. Gerade für Schriftsteller bedeutete Exil eine existenzbedrohende Einsamkeit. Dies verdeutlicht Liepman, wenn er Namen exilierter Schriftseller wie Jakob Wassermann, Kurt Tucholsky, Stefan Zweig, Joseph Roth, René Schickele, Ernst Toller und Ernst Weiss erwähnt.
Auch wenn viele Emigranten aufgrund ihrer jüdischen Herkunft das nationalsozialistische Deutschland verlassen mussten, unterscheidet Liepman zwischen Herkunft und weltanschaulichen Beweggründen. Während Juden aus antisemitischen Gründen der Verfolgung ausgeliefert waren, hätten viele Intellektuelle aus einer bewussten Entscheidung Deutschland verlassen.
Gerade die bewusste Entscheidung zum Exil steht für Liepman immer wieder im Zentrum und veranlasst ihn erneut zur Frage „Müssen wir wieder emigrieren?“
Diesem Radiobeitrag vorausgegangen war ein Artikel in Die Welt (21. Februar 1959) sowie eine anschließende von Liepman organisierte ARD Fernsehdiskussion Emigration - Freiheit oder Pflicht? (16. Mai 1963). Trotz der eigenen Exilerfahrung und den Erinnerungen an die Biografien anderer Schriftstellerkollegen und Exilanten, die er dem Hörer lebendig schilderte, schien ein Bleiben für Liepman ausgeschlossen. 1961 emigrierte er in die Schweiz.
Weiterführende Literatur:
Schneider, Thomas F.: „Müssen wir wieder emigrieren?“ In: Siebenpfeiffer, Hania (Hg.)/ Wölfel, Ute: Krieg und Nachkrieg. Konfigurationen der deutschsprachigen Literatur (1940-1965). Berlin: Erich Schmidt Verlag 2004, S. 65-79.
Weinke, Wilfried: „Ein deutscher Jude denkt über Deutschland nach“. Der Schriftsteller und Journalist Heinz Liepman, sein Wirken in Hamburg und seine Auseinandersetzung mit Antisemitismus und Philosemitismus in Deutschland nach 1945. In: Zeitschrift des Vereins für Hamburgische Geschichte 85 (1999), S. 183- 206.