Irmgard Keun: Nach Mitternacht (1937)

Erstausgabe von Irmgard Keuns Roman Nach Mitternacht
Erstausgabe von Irmgard Keuns Roman Nach Mitternacht (1937).
Deutsches Exilarchiv 1933–1945 der Deutschen Nationalbibliothek, Exil-Literatur (Magazinbestand), EB 71/246. © Mit freundlicher Genehmigung von Thessa Prins Denneboom

Irmgard Keun: Nach Mitternacht (1937)

Erstausgabe des Romans, erschienen 1937 im Querido Verlag

„Noch diese Nacht müssen wir fort. Wie spät ist es? Gleich Mitternacht. Wie? Um ein Uhr nachts fährt ein Zug? Mit dem müssen wir fahren. Was muß noch geschehen, an was muß ich noch denken?“

Irmgard Keun, Nach Mitternacht, 1937


Irmgard Keuns Roman Nach Mitternacht erschien 1937 im niederländischen Querido Verlag in Amsterdam und gilt als einer der wichtigsten Romane der Exilliteratur. Das Geschehen spielt an zwei Tagen um das Jahr 1936. Das handlungsbestimmende Ereignis ist ein bevorstehender Auftritt Hitlers auf dem Frankfurter Opernplatz. Kurz vor Mitternacht muss sich die 19-jährige Susanne Moder, genannt Sanna, zwischen der Emigration oder einem Leben in der Diktatur entscheiden. Aus der Perspektive ihrer Erzählfigur beobachtet Keun die alltäglichen Begebenheiten im nationalsozialistischen Deutschland. Dabei kann sie auf ihre eigenen Beobachtungen und Erfahrungen zurückgreifen, verließ sie doch – anders als viele ihrer Kolleg*innen – ihr Heimatland erst im Mai 1936 und erlebte so die ersten drei Jahre der Naziherrschaft aus unmittelbarer Nähe. In dieser Zeit registrierte sie genau die großen und kleinen Veränderungen im gesellschaftlichen Umgang, im Verhalten und Sprechen mit- und übereinander, und enttarnt dabei mit Geschick und feinsinnigem Humor die Widersprüchlichkeiten einer vermeintlich neuen Normalität.

Die Arbeit am Roman begann Keun noch unter der ständigen Bedrohung von Repression und Zensur durch die restriktive NS-Kulturpolitik; Keuns frühere Romane landeten bereits ab 1933 auf der Liste der von den Nazis verbotenen Bücher, ihr Aufnahmeantrag für die Reichsschrifttumskammer wurde 1936 endgültig abgelehnt. Schließlich konnte sie das Werk nach der Flucht ins belgische Ostende abschließen. Es sei „ein richtiger Anti-Nazi-Roman – aus dem bürgerlichen Nazi-Deutschland“ geworden, schreibt die Exilantin an den Freund Arnold Strauss im Juni 1936.

Im April 1937 empfiehlt Klaus Mann den eben erschienenen Roman in der Exilzeitschrift Die neue Weltbühne – auch als wichtiges, zeitgenössisches Dokument der Aufklärung: „Da kommt nun eine begabte Frau und erzählt uns, wie es heute aussieht in diesem für uns unbetretbaren Land. Irmgard Keun hat es lange ausgehalten im Dritten Reich, sie kennt es, und der Roman, den sie uns nun vorlegt, ist bis zum Rande voll von gescheiten Beobachtungen […] ein Schauder läuft uns über den Rücken, während wir spüren und erkennen: Ja, so ist es; so leben diese Menschen, das ist ihr Alltag, und so sehen ihre Feste aus.“

Weiterführende Literatur:
Detering, Heinrich: Nachwort. In: Irmgard Keun: Nach Mitternacht. Ullstein: Berlin 2022.
Häntzschel, Hiltrud: Irmgard Keun. Rowohlt: Reinbek b. Hamburg 2021.
Irmgard Keun: Texte aus NS-Deutschland, Texte aus dem Exil: 1933–1940. [Irmgard Keun: Das Werk, Bd. 3]. Hrsg. v. Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung. Wallstein: Göttingen 2017.

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