Józef Wittlin: Brief an Hermann Kesten (2. November 1940)
Józef Wittlin: Brief an Hermann Kesten (2. November 1940)
Ich brauche Ihnen nicht zu sagen, daß ich mittellos bin – und die letzten Monate in Frankreich waren wenig heiter.
Józef Wittlin an Hermann Kesten, 2. November 1940
Am 31. Oktober 1940 traf der polnische Schriftsteller Józef Wittlin mit seiner Familie in Lissabon ein. Von hier setzte er sich mit Hermann Kesten in Verbindung, auf dessen Initiative er auf die Liste für ein Notvisum des Emergency Rescue Committe gekommen war.
Wittlin, der wie Joseph Roth im galizischen Lemberg studiert hatte, stand in engem Kontakt zu zahlreichen deutschen Schriftstellern und hatte als Übersetzer mehrere Romane seines Freundes Roth ins Polnische übersetzt. Die deutsche Ausgabe seines literarischen Hauptwerks, des Romans Salz der Erde, war 1937 mit einem Vorwort von Joseph Roth im Amsterdamer Verlag Allert de Lange erschienen.
Insgesamt sechs Briefe schrieb Józef Wittlin aus Lissabon an Hermann Kesten bis er die portugiesische Hauptstadt vermutlich am 17. Januar nach einem elfwöchigen Aufenthalt in Richtung USA verlassen konnte. Darin berichtet er von existenziellen Sorgen, von Rückschlägen bei der Beschaffung notwendiger Papiere, der schweren Erkrankung seiner achtjährigen Tochter, Begegnungen mit anderen Emigranten wie Kestens Schwester oder dem Schriftsteller Hans Natonek und Angstgefühlen vor der ungewissen Zukunft in den USA.