Ossip Kalenter, Rezension im Aufbau über Haringers Das Fenster
Ossip Kalenter, Rezension im Aufbau über Haringers Das Fenster
Lebe wohl, du liebe kleine Zelle! / Kleine arme Zelle lebe wohl. / Du der Freiheit blutende Kapelle – / Ach, ich weiß nicht mehr was Wald und Quelle – / Ist der Friedhof denn nicht endlich voll! / Nur ein Bettelmann war ich im Leben, Kaiser ward im Leid ich, in der Pein! / Ach, da half kein abendliches Beben – / Wird der nächste Kerker Heimat geben – / Wird das nächste Zuchthaus lieber sein?
Jakob Haringers Gedicht Abschied vom Kerker
Ossip Kalenter hat sich seit den 1920er-Jahren vornehmlich als Zeitungsautor und Feuilletonist einen Namen gemacht und unzählige Beiträge für die Frankfurter Zeitung, den Berner Bund, die Neue Zürcher Zeitung, die Basler National-Zeitung und (zumal in den Jahren seines tschechischen Exils 1934–1939) für das Prager Tagblatt geschrieben. Hermann Kesten äusserte in einer Rezension, Kalenter sehe „wie ein Romancier aus, der sich als Feuilletonist verkleidet hat“. Allein im 1934 in New York gegründeten jüdischen Monatsmagazin Aufbau, der bedeutendsten in den USA erscheinenden Zeitschrift für deutschsprachige Exilantinnen und Exilanten, publizierte Kalenter in der Nachkriegszeit gegen 250 Beiträge, die sämtlich in seinem Nachlass im Schweizerischen Literaturarchiv dokumentiert sind. Viele seiner Beiträge hatten einen politischen Zuschnitt im Sinne einer aufklärerischen Kommentierung der NS-Verbrechen, bei anderen handelt es sich um Theater- oder Buchrezensionen wie der Besprechung des Gedichtbands Das Fenster (1946), in der Kalenter einem anderen in die Schweiz emigrierten Meister der sogenannten kleinen Form, dem Lyriker und Zettelpoeten Jakob Haringer auf humorvolle, doch nichts beschönigende Weise seine Reverenz erweist.
Weiterführende Literatur:
Jakob Haringer: Aber des Herzens verbrannte Mühle tröstet ein Vers. Ausgewählte Lyrik, Prosa und Briefe. Hg. von Hildemar Holl. Mit einem Nachwort von Wulf Kirsten. Salzburg/Wien: Residenz Verlag 1988.