Flüchtlingsausweis von Jakob Haringer, 22. Januar 1944

Flüchtlingsausweis: Jakob Haringer
Jakob Haringer, Flüchtlingsausweis, 22.1.1944
Schweizerisches Literaturarchiv SLA, Schweizerische Nationalbibliothek, Nachlass Jakob Haringer

Flüchtlingsausweis von Jakob Haringer, 22. Januar 1944

Versteckspiel mit den Behörden

Der vertrackten Schweizer Asylpraxis mit ihren bürokratischen Bestimmungen wußte er nur die alten Methoden des raschen Untertauchens und plötzlichen Abreisens entgegenzusetzen. Nicht zu sagen, wie viele Male er die Schweizer Fremdenpolizei zum Narren hielt, wie oft es ihm glückte, in letzter Minute eine Hintertür zu finden. Steckte er wieder einmal in der Klemme, fanden sich renommierte Bürger des Landes, die die Hand schützend über ihn hielten.

Wulf Kirsten über Jakob Haringer, 1988


Der Flüchtlingsausweis des im Juli 1936 aus Deutschland ausgebürgerten Jakob Haringer legt beredtes Zeugnis von der gründlichen und regelmäßigen fremdenpolizeilichen Kontrolle ab, der Exilant*innen in der Schweiz zwischen 1933 und 1945 ausgesetzt waren. Haringer lieferte sich mit der rigiden Fremdenpolizei über Jahre ein Versteckspiel. Zunächst fand er längere Zeit ohne Bewilligung an unterschiedlichen Orten des Landes Unterschlupf, ehe er durch Verfügung der Polizeiabteilung des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements EJPD vom 4. Februar 1941 aufgrund seiner Staaten- und Mittellosigkeit schließlich interniert wurde, wie seinem Flüchtlingsausweis zu entnehmen ist. Nach halbjähriger leidvoller Internierung, eigenen Angaben zufolge verlor er in den ersten Monaten über 20 Kilo an Gewicht sowie fünf Zähne, floh der Autor im August 1941 aus der Strafanstalt Bellechasse im Kanton Fribourg. Durch Fürsprache des Verlegers Emil Oprecht fand er daraufhin vorübergehende Aufnahme in der Nervenheilanstalt Schlössli in Oetwil bei Zürich. Anfang 1943 folgte nochmals ein Aufenthalt in einem Internierungslager in Brissago im Tessin. Später erlangte Haringer den Status eines «Privatinternierten», dessen Gastgeber samt genehmigter Wohnadresse und Aufenthaltsdauer ebenfalls im Ausweis verzeichnet sind.

Weiterführende Literatur:
Jakob Haringer: Aber des Herzens verbrannte Mühle tröstet ein Vers. Ausgewählte Lyrik, Prosa und Briefe. Hg. von Hildemar Holl. Mit einem Nachwort von Wulf Kirsten. Salzburg/Wien: Residenz Verlag 1988.
Jakob Haringer. Du bist für keinen Stern, kein Glück geborn! Leben, Prosa & Lyrik. Eingeleitet und ausgewählt von Dieter Braeg. Berlin: Die Buchmacherei 2018.

Galerie